Alice Schwarzer spricht in einem Emma-Artikel von einer
"Machoisierung" der Gesellschaft, und deutet auch das
Wahlergebnis vor diesem Hintergrund. Sie sieht eine
"Gefühlsradikalisierung", die Ausdruck und Resultat tiefer
Demütigung und langanhaltender Unterdrückung ist. Da gehe ich mit.
Abgesehen davon, dass all diese -isierungswarnungen mit Vorsicht zu
genießen sind, fällt mir zu "Machoisierung" der
Gesellschaft eine ganze Menge ein. Und doch hieße die bloße
Wahrnehmung zu thematisieren, auf der Symptomebene zu bleiben.
Schwarzer spricht zwar von Unterdrückung und zieht die Parallele zu
ehemaligen Kolonialgesellschaften - aber lässt sie mit gerade diesem
Bezug nicht zuerst wieder an "die Anderen" denken, anstatt
vor der eigenen Haustüre zu kehren?
Bezogen auf den Habitus könnte der beobachtbar zunehmend rüde
Umgangston auf eine "Gefühlsradikalisierung" deuten, die
merklich härtere Umgangsweise miteinander im öffentlichen Raum,
Verrohung sogar, eine deutliche Spur mehr Rücksichtslosigkeit und
Egozentrismus - all das könnte für eine "Machoisierung"
sprechen. Ein bissel schmunzelnd denke ich auch an den seltsamen
Bart-Trend bei sehr vielen noch sehr jungen Männern.
Wenn Schwarzer von "Machoisierung" spricht, wäre auch
davon zu sprechen, in welcher Rolle sich Frauen und Männer
neuerdings sehen. Aber so weit gehe ich jetzt nicht in dieses
Themenfeld hinein. Ich bleibe jetzt lieber bei dem Begriff
"Gefühlsradikalisierung", Phänomene wie sie auch
Zeitgenossen der beiden letzten Weltkriege berichteten.
Wodurch ist die "Gefühlsradikalisierung/Machoisierung"
denn bedingt? Womit wird sie in Gang gebracht und gehalten? Worin
werden wir hier unterdrückt? Uns geht es doch gut, oder?
Klar, es gilt das Teil-und-Herrsche-Prinzip. Da werden
Hartz-Vier-Empfänger erzeugt, auch in dem mehr Teilzeit- und
Zeitarbeitsstellen den Markt überschwemmen. Da wurden
Lebensleistungen von Millionen Bundesbürgern abgewertet, eine ganze
Wirtschaft wurde abgewickelt ...usw...wir wissen das.
Vor Jahren schon dieser Trend, in den Unterhaltungsfilmen im Kino
den großen Helden wieder aufleben zu lassen, den Weltretter mit
marzialischem Gebaren, in einem kriegerischen Kontext und meist sogar
bei Weltuntergangsszenarien. Dazu die realen Kriege weltweit. Die
dauernden Kriegsdrohungen. Nachrichten über schlimmste
Gewaltverbrechen - und weniger Nachrichten darüber, wie diese
Verbrechen geahndet wurden. Und die Hype um Terrorängste, die zu
mehr Kontrolle der gesamten Menschheit führt, an Flughäfen,
Grenzen, in Konzertsälen und im Datenverkehr.
All das bewirkt an sich schon eine existenzielle
Grundverunsicherung.
Das wichtigste für mich aber: Mensch wurde längst vom Gestalter
zum Konsumenten gemacht.
Das Denken kreist um Dinge, die man
erwarb oder erwerben möchte, für die man wiederum Ausstattung
braucht, die man kaufen muss. Das Denken dreht sich um Funktionen und
Programme, die man downloaden kann und den Rattenschwanz an
Möglichkeiten oder Widrigkeiten, die damit im Zusammenhang stehen.
Geschrieben wird mit dem PC. Gezeichnet auch. Selbst Mobilität ist
ein Konsumgut geworden, der Anspruch, weite Strecken zurücklegen zu
können, um seine Arbeit zu machen, kann nur über Konsum erfüllt
werden. Bahnhöfe sind nicht umsonst zu Shopping-Centern mutiert.
Die Gespräche im öffentlichen Raum drehen sich auch um das
Konsumieren von Erlebnissen, touristischen Highlights, Großevents,
Festivals - aber es bleibt dabei, alles das ist Konsum. Und natürlich
ist auch der Konsum ein Akt der Entscheidungsfindung, und sogar eine
kleine Möglichkeit, sich politisch zu verhalten - aber letztlich
liegen die schöpferischen Fähigkeiten relativ brach, ist kein
Prozess der Produktion mehr erfahrbar. Man nimmt sich, was man
kriegen kann. Und selbst Erleben wird verkauft, in der Werbung wird
alles zum Konsumgut, mit dem richtigen Laufschuh läuft sich der
Marathon von selbst. Die Mühen der Ebenen, des Findens einer Idee
und Lösung - sie sind ebenso schlecht zu verkaufen wie die
Gedenkorte für die Verbrechen in unserer Geschichte in der
Tourismuswerbung wenig Eingang finden. Leicht muss es schmecken.
Alles muss gut sein.
Kaum jemand spricht davon, dass er selbst gestern Gitarre oder
Klavier spielte und sich mühte, eine Melodie zu finden, nur mal so
zur Freude, wenig wird von von den Fähigkeiten gesprochen an denen
einer arbeitet, die er bei aller Mühe gern ausübt, mit Händen,
Herz und Hirn.
Kommt das Gespräch aber doch mal darauf, dann erzeugt es einen
Sog auch für umstehende Mitmenschen, als sei da ein Defizit, ein
Hunger nach Austausch über Selbstgemachtes, Selbsterlebtes. Mir ist
es beinahe eine Freude wenn sich Leute über ihren Garten oder
Kochrezepte unterhalten, über Näharbeiten, Handwerk, über
Seitenstiche beim Laufen und Rezepte dagegen, über harmlose
Missgeschicke und Fehlversuche.
Das freie, greifbare Gestalten, auch das Mitgestalten von
Gemeinschaftsräumen im Städtischen, von Kulturräumen, wie Theater
oder andere Spielorte - alles das ist nicht unbedingt mainstream und
usus.
Es ist ja auch immer wenig Zeit. Im digitalen Zeitalter hat man
gefälligst schnell die Dinge zu erledigen. Man hat schnell einen
Artikel zu schreiben - Recherche geht heute via Internet - schnell ein
Layout zu gestalten, schnell einen Entwurf zu machen, ein Konzept zu
schreiben - Vorlagen gibt es genug. Das stärkt nicht gerade das
Gefühl, schöpferisch etwas entschieden zu haben, sondern
hinterlässt eine latente Unzufriedenheit, die Dinge immer nur halb
gut machen zu können, wie unter Besinnungslosigkeit, und mehr einem
Trend nachzujagen und Außenerwartungen zu erfüllen, als die Arbeit
mit dem eigenen Gespür und Gewissen abzugleichen. Letzteres wäre
Gestalten.
Und je weniger mensch sich als gestaltend erlebt, desto mehr
schwinden Entscheidungsfähigkeit und Selbstwertgefühl. Konsument
sein macht abhängig, gestaltend sein gibt Freiraum.
Die Abhängigkeit des Konsumenten verstärkt wiederum die
existenzielle Unsicherheit und das Gefühl, hilflos ausgeliefert zu
sein. Wohnen geht nur via Konsum, Essen und Kleiden ebenfalls. Wie
erstaunt jemand sein kann, der erstmalig einen Garten bewirtschaftet
und Glück empfindet.
Wesentlich hinzu kommen die tatsächlich bedrohlichen Krisen, die
mensch verursacht, die längst erkannt sind und dennoch nicht beendet
werden. Gifte in der Nahrung, Wohnen, das man sich kaum noch leisten
kann, Kriege und Kriegsandrohungen, Klimawandel, Atomwaffen, marode
Atomkraftwerke, die Finanzblasen, die Spekulationswelt, ein digitaler
Parallelmarkt - alles das wirkt nicht gerade vertrauensbildend auf
das Menschenherz. Ganz zu schweigen von den Traumatisierungen, die
wir alle, der eine mehr, der andere weniger, mit uns herumschleppen,
aus den Elterngenerationen schon herübergebracht.
Die seit 25 Jahren etwa hartnäckig sich haltende Redewendung:
"Alles ist/wird gut" hat etwas symptomatisches und deutet
eher auf autosuggestive Beruhigungsmaßnahmen, wo im tiefen Innern
längst die Alarmglocken schrillen. Aber mensch will und soll und
muss überleben, auch in unwirtlichem System, das er selbst ist und
selbst unterhält - und das er selbst ändern könnte!
Allmählich wäre die einzig richtge Anpassungsmaßnahme eine
Grundveränderung, ein grundlegendes Neudenken und vor allem -
gedacht wurde ja schon fast alles neu - ein Neugestalten. Und hier
schließt sich der Kreis. Wer zum Konsumenten mutiert wurde, kann nur
schwer den Gestaltungswillen in sich spüren. Aber es gibt ihn, den
Gestaltungswillen, in jedem einzelnen Menschenherz.
Mal Pause machen vom Shoppengehen und bloßen Rezipieren von
Inhalten. Mal träumen, wie man leben möchte, wie es einem wirklich
gut gehen würde, was man verändern würde, wenn man könnte. Mal
still werden. Mal selbst das Fahrrad neu erfinden von mir aus...und
dann die Gesellschaft.
Jana Weinert