Max seine Gedanken zur Lebensnotwendigkeit
Nun ist es getan. Ja, es ist vorbei. Erst einmal. Für dieses Jahr auf jeden Fall. Das Fest der Nächstenliebe. Die Festlichkeit der Herzenswärme. Eine Festfeier der Barmherzigkeit. Eine Feier der Gefühlsergüsse. Ein Festtag der Bereitwilligkeit. Besser gesagt, ein Tag der Beschenkungen. Immer wieder jedes Jahr zur Weihnachtszeit fragen sich viele Erdenbürger, was verschenke ich. Ehrlich, ganz ehrlich, ich schenke gern. Aber nicht auf Weisung, nicht auf Anweisung. Bereits Ende Sommer sind die Verkaufsregale mit Anordnungen zum Bescheren ausgefüllt. Ich will mich verweigern, kämpfe
dagegen an und verliere jedes Jahr und las mich darauf ein. Bei dem
Wort "Geschenk" denken viele Menschen an gegenständliche Objekte.
Lange vor dem Beschenkungstag läuft eine große Werbekampagne, um den
Käufern für Dinge, die nicht immer lebensnotwendig sind, das Maul
wässerig zu machen. Nun schauen wir uns mal das Wort "lebensnotwendig"
genau an. Da haben wir das Wort "Leben" - "Not" und "wendig". Nun stellen Sie sich mal vor, Sie sitzen in einer vollbesetzten Straßenbahn. Neben Ihnen sitzt eine ältere Dame, der Sie - so höflich wie Sie nun
mal sind - in die Bahn hinein geholfen, der Sie noch einen Platz
neben dem Fenster angeboten haben. Diese Frau vertraut Ihnen
Geschichten von ihrem längst verstorbenen Mann an. Sie erfahren,
dass er einst so um 1956, nach der Geburt ihrer einzigen Tochter,
Schnaps schwarz brannte. Sie selbst aber spüren das Bedürfnis, auf
Toilette zu gehen. Die Bahn fährt, die Frau neben Ihnen erzählt und
erzählt. Sie nicken ab und zu verständnisvoll mit dem Kopf, dabei
ist Ihre ganze Aufmerksamkeit auf die Verkehrshinweisschilder
gerichtet. Endlich erspähen Sie eins. Ab diesem Punkt entsteht eine
Notsituation in Ihrem Leben. Verkehrte Richtung. Sie hören das
Gequatsche der Frau, Sie unterdrücken unter heftigen Schmerzen den
Harndrang und sitzen in der verkehrten Straßenbahn. An dieser Stelle
wird von Ihnen voller Einsatz verlangt. Also, Sie müssen ab jetzt
wendig sein. Ich glaube, dieses Beispiel hat Ihnen verdeutlicht, was
man im eigentlichen Sinn unter "lebensnotwendig" versteht. Wenn Sie es
noch nicht verstanden haben, versuche ich, es mal auf eine ganz
einfache Weise zu erklären. Also, damals, als die Menschen noch
dachten, dass man sich beim Feuerstein schlagen nie selbst verletzen
könnte, da war noch alles in Ordnung. Sobald die Hand anschwoll,
weil sie mit dem Stein beim Funken schlagen abrutschten und sich
stark verletzten, ab diesem Zeitpunkt stellte sich heraus, dass die
zweite Hand beim Feuer entfachen lebensnotwendig ist. Noch mal zum Verstehen, wenn das Internet für einige Tage oder sogar Wochen nicht
mehr funktioniert, dann stellen viele unserer Mitbürger fest, dass sie
etwas Lebensnotwendiges vermissen. Dabei brauchen sie eigentlich nur
die Tür aufmachen, einfach auf einen Menschen zugehen, um sich dann
in einem Gespräch zu begegnen. Schenken Sie einfach dem Menschen,
der Ihnen am nächsten ist, Ihre Aufmerksamkeit! Also, Sie sehen, dass
man im Leben bei einem Ereignis der Not immer wendig, also beweglich
sein sollte, also kurz zusammengefasst: Selbst inszenierte Aktivität
kann lebensnotwendig sein! Es sind die ganz großen Geschichten, die
uns das Leben tagtäglich schenkt. Dies alles kann man dann und wann
in Publikationen nachlesen. Natürlich vorausgesetzt, Sie gehören zu
denjenigen, die Bücher als lebensnotwendig betrachten. Also, ich habe
festgestellt, dass gerade die Gruppe der Buchliebhaber andere Bücher
liest als die Sorte von Individuen, die Bücher eine geringfügige
oder gar keine Bedeutung beimessen. Nun kann man viel und lange
schreiben, das bedeutet noch nicht, dass dabei auch was sinnvoll
Inhaltliches für den Lesenden zum Lesen entsteht. Es ist durchaus
möglich, wenig zu schreiben und trotzdem mehr sinnvoll
Inhaltliches für den Leser zu verfassen. Dieser Vorgang ist
eigentlich ganz einfach zu verstehen. Ich glaube, das kann man mit
einem Beispiel beispielsweise am besten erklären. Also, Sie stehen
auf einem zehn Meter hohen Sprungturm und stellen während des
Absprungs fest, dass kein Wasser im Becken ist. Obwohl der Absprung
nur einen kurzen Moment dauerte, hat er für Sie eine
außergewöhnlich inhaltliche Bedeutung. Es war ein sehr kurzer
Verlauf. Hier ist das Sein und Nicht-Sein auf engstem Raum zusammengefasst. Der beglückende Moment des Sprungs und die Tragik des
Aufpralls. In diesem Fall wäre es lebensnotwendig gewesen, nicht zu
springen.
Während des kurzen Moments des Flugs
entstehen oft die schönsten inhaltsreichsten poetischen
Erkenntnisse. Man ist ja gezwungen, sich kurz zu fassen. Ich erhoffe
mir, man möge sich - nicht nur beim angeordneten Beschenketag - im
Leben mit mehr Aufmerksamkeit begegnen. Ich wünsche mir, dass die
Menschen wieder Zeit finden, um sich mit Beachtung und gegenseitiger
Achtung zu beschenken. Ein Geschenk kann auch ein aufmunterndes
Lächeln sein. Ein freundliches Wort. Einfach mal zuhören, wenn
jemand was zu erzählen hat. Wie zum Beispiel beispielsweise der
alten Frau in der Straßenbahn. In diesem Sinne wünsche ich mir und
uns für den heutigen 27.12.2013 viele Geschenke!
Ihr Max