Freitag, 27. Dezember 2013

Max im Fenster


Max seine Gedanken zur Lebensnotwendigkeit

Nun ist es getan. Ja, es ist vorbei. Erst einmal. Für dieses Jahr auf jeden Fall. Das Fest der Nächstenliebe. Die Festlichkeit der Herzenswärme. Eine Festfeier der Barmherzigkeit. Eine Feier der Gefühlsergüsse. Ein Festtag der Bereitwilligkeit. Besser gesagt, ein Tag der Beschenkungen. Immer wieder jedes Jahr zur Weihnachtszeit fragen sich viele Erdenbürger, was verschenke ich. Ehrlich, ganz ehrlich, ich schenke gern. Aber nicht auf Weisung, nicht auf Anweisung. Bereits Ende Sommer sind die Verkaufsregale mit Anordnungen zum Bescheren ausgefüllt. Ich will mich verweigern, kämpfe dagegen an und verliere jedes Jahr und las mich darauf ein. Bei dem Wort "Geschenk" denken viele Menschen an gegenständliche Objekte. Lange vor dem Beschenkungstag läuft eine große Werbekampagne, um den Käufern für Dinge, die nicht immer lebensnotwendig sind, das Maul wässerig zu machen. Nun schauen wir uns mal das Wort "lebensnotwendig" genau an. Da haben wir das Wort "Leben" - "Not" und "wendig". Nun stellen Sie sich mal vor, Sie sitzen in einer vollbesetzten Straßenbahn. Neben Ihnen sitzt eine ältere Dame, der Sie - so höflich wie Sie nun mal sind - in die Bahn hinein geholfen, der Sie noch einen Platz neben dem Fenster angeboten haben. Diese Frau vertraut Ihnen Geschichten von ihrem längst verstorbenen Mann an. Sie erfahren, dass er einst so um 1956, nach der Geburt ihrer einzigen Tochter, Schnaps schwarz brannte. Sie selbst aber spüren das Bedürfnis, auf Toilette zu gehen. Die Bahn fährt, die Frau neben Ihnen erzählt und erzählt. Sie nicken ab und zu verständnisvoll mit dem Kopf, dabei ist Ihre ganze Aufmerksamkeit auf die Verkehrshinweisschilder gerichtet. Endlich erspähen Sie eins. Ab diesem Punkt entsteht eine Notsituation in Ihrem Leben. Verkehrte Richtung. Sie hören das Gequatsche der Frau, Sie unterdrücken unter heftigen Schmerzen den Harndrang und sitzen in der verkehrten Straßenbahn. An dieser Stelle wird von Ihnen voller Einsatz verlangt. Also, Sie müssen ab jetzt wendig sein. Ich glaube, dieses Beispiel hat Ihnen verdeutlicht, was man im eigentlichen Sinn unter "lebensnotwendig" versteht. Wenn Sie es noch nicht verstanden haben, versuche ich, es mal auf eine ganz einfache Weise zu erklären. Also, damals, als die Menschen noch dachten, dass man sich beim Feuerstein schlagen nie selbst verletzen könnte, da war noch alles in Ordnung. Sobald die Hand anschwoll, weil sie mit dem Stein beim Funken schlagen abrutschten und sich stark verletzten, ab diesem Zeitpunkt stellte sich heraus, dass die zweite Hand beim Feuer entfachen lebensnotwendig ist. Noch mal zum Verstehen, wenn das Internet für einige Tage oder sogar Wochen nicht mehr funktioniert, dann stellen viele unserer Mitbürger fest, dass sie etwas Lebensnotwendiges vermissen. Dabei brauchen sie eigentlich nur die Tür aufmachen, einfach auf einen Menschen zugehen, um sich dann in einem Gespräch zu begegnen. Schenken Sie einfach dem Menschen, der Ihnen am nächsten ist, Ihre Aufmerksamkeit! Also, Sie sehen, dass man im Leben bei einem Ereignis der Not immer wendig, also beweglich sein sollte, also kurz zusammengefasst: Selbst inszenierte Aktivität kann lebensnotwendig sein! Es sind die ganz großen Geschichten, die uns das Leben tagtäglich schenkt. Dies alles kann man dann und wann in Publikationen nachlesen. Natürlich vorausgesetzt, Sie gehören zu denjenigen, die Bücher als lebensnotwendig betrachten. Also, ich habe festgestellt, dass gerade die Gruppe der Buchliebhaber andere Bücher liest als die Sorte von Individuen, die Bücher eine geringfügige oder gar keine Bedeutung beimessen. Nun kann man viel und lange schreiben, das bedeutet noch nicht, dass dabei auch was sinnvoll Inhaltliches für den Lesenden zum Lesen entsteht. Es ist durchaus möglich, wenig zu schreiben und trotzdem mehr sinnvoll Inhaltliches für den Leser zu verfassen. Dieser Vorgang ist eigentlich ganz einfach zu verstehen. Ich glaube, das kann man mit einem Beispiel beispielsweise am besten erklären. Also, Sie stehen auf einem zehn Meter hohen Sprungturm und stellen während des Absprungs fest, dass kein Wasser im Becken ist. Obwohl der Absprung nur einen kurzen Moment dauerte, hat er für Sie eine außergewöhnlich inhaltliche Bedeutung. Es war ein sehr kurzer Verlauf. Hier ist das Sein und Nicht-Sein auf engstem Raum zusammengefasst. Der beglückende Moment des Sprungs und die Tragik des Aufpralls. In diesem Fall wäre es lebensnotwendig gewesen, nicht zu springen.
Während des kurzen Moments des Flugs entstehen oft die schönsten inhaltsreichsten poetischen Erkenntnisse. Man ist ja gezwungen, sich kurz zu fassen. Ich erhoffe mir, man möge sich - nicht nur beim angeordneten Beschenketag - im Leben mit mehr Aufmerksamkeit begegnen. Ich wünsche mir, dass die Menschen wieder Zeit finden, um sich mit Beachtung und gegenseitiger Achtung zu beschenken. Ein Geschenk kann auch ein aufmunterndes Lächeln sein. Ein freundliches Wort. Einfach mal zuhören, wenn jemand was zu erzählen hat. Wie zum Beispiel beispielsweise der alten Frau in der Straßenbahn. In diesem Sinne wünsche ich mir und uns für den heutigen 27.12.2013 viele Geschenke!
 
Ihr Max