Donnerstag, 22. Januar 2015

Sie spielte Gedichte auf der zerbrochenen blauen Klaviatur



Werter Blogleser,
auf den Tag vor siebzig Jahren starb Else Lasker-Schüler.
1945 ~ die Welt steht Kopf und trägt schwer an den Folgen der Politik der vergangenen Jahre. Die ganze Welt im Krieg mit sich selbst – wem steht da der Sinn nach Poesie, nach Extravaganz und Überschwänglichkeit.
Immer wieder nehme ich den in blaues Leinen gebundenen Gedichtband „Sämtliche Gedichte“ zur Hand. Manchmal öfter, manchmal ein paar Wochen gar nicht. Die Verkäuferin sagte damals zu mir:„Achtzehn Euro achtzig ist aber teuer.“ „Da steckt auch ein ganzes Leben drin.“, antwortete ich ihr und eigentlich fühlte ich mich verletzt.
Else – das ist ein so gewöhnlicher Name, im Sinne von einfach und durchaus zeitgemäß. Viele Frauen, die damals Else hießen, waren ordentlich verheiratet, führten einen ordentlichen Haushalt, gingen einer ordentlichen Tätigkeit nach, erzogen ihre Kinder zu ordentlichen Menschen. Else Schüler, verheiratete Lasker-Schüler, malt und zeichnet. Und sie schreibt. Gedichte. Wählt die kurze Form der Mitteilung, die sich beim Lesen und Verstehen zu einem ganzen Universum auffächert. Wenn ich Biographien lese, entsteht bei mir der Eindruck, man würde bei ihr heute wahrscheinlich ein Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom diagnostizieren. Ich weiß nicht, ob sie viel Zeit darauf verwendete, Texte zu überarbeiten oder ob sie mit Zeichenstift und Pastellkreide geduldiger war. Eines meiner Lieblingsbilder heißt „Prinz Jussuf von Theben“. Wie schillernd ihr Auftreten gewesen sein soll – der Versuchung, sich mit Kleidung, Frisur, Schmuck und Gesten ein zweites Ich zu kreieren, nicht widerstehen können. Was kann einem die Welt anhaben, die sich selbst in Schutt und Asche legt, wenn man jenseits von ihr lebt, außerhalb dieses Raums, dieser Zeit. Am 22. Januar 1945 verließen dieser phantasiereiche, lebenshungrige Geist, die Seele, die so gern liebte und so tief leiden konnte den gebückten, kranken fast 76-jährigen Körper.

JA 

* * *

Else Lasker-Schüler


Abschied

Ich wollte dir immerzu
Viele Liebesworte sagen;

Nun suchst du ruhlos
Nach verlorenen Wundern.

Aber wenn meine Spieluhren spielen,
Feiern wir Hochzeit.

- O deine süßen Augen
Sind meine Lieblingsblumen;

Und dein Herz ist mein Himmelreich;
Laß mich hineinschauen.

Du bist ganz aus glitzernder Minze
Und so weich versonnen . . .

Ich wollte dir immerzu
Viele Liebesworte sagen, -

Warum tat ich das nicht?