Mittwoch, 21. Januar 2015

Vor 200 Jahren das letzte Gedicht von Matthias Claudius



Werter Blogleser,
ich habe mich etwas kryptisch in der Überschrift ausgedrückt, weil es ja nicht stimmt, dass Matthias Claudius vor zweihundert Jahren starb. Nur die Funktion seines Körpers endete am 21. Januar 1815, seine Gedichte werden heute noch gelesen und berühren die Menschen.

Wir Vögel singen nicht egal;
Der singet laut, der andre leise,
Kauz nicht wie ich, ich nicht wie Nachtigall,
Ein jeder hat so seine Weise.

~ Matthias Claudius ~


Es ist schon viele Jahre her, da machte ich in Wiesbaden die Bekanntschaft mit einer Schriftstellerin, die durch ihre Jugendbücher bekannt wurde. Ich saß am Bett der alten Dame und wir unterhielten uns über das Schreiben, über Literatur. Matthias Claudius wird zur literaturgeschichtlichen Epoche der „Empfindsamkeit“ (1740 – 1780) gezählt und das waren ja nun gar nicht die Art Texte, die mich damals interessierte oder gar begeisterte. Ich wetterte auch gegen Eichendorff, Brentano, Novalis und all die anderen „Schnulzendichter“, zudem ärgerte mich schon damals, dass Literaturgeschichte meist über männliche Vertreter der schreibenden Zunft definiert wurde – Karoline von Günderode und Bettina von Arnim sind die Namen, die für das literarische Schaffen von Frauen im 18. und 19. Jahrhundert stehen. So oder so ähnlich echauffierte ich mich also und was war die Reaktion? Ich bekam einen kleinen Lyrikband mit Gedichten von Matthias Claudius geschenkt und Barbara Schwindts Augen leuchteten, als sie ganze Gedichte auswendig rezitierte und mich dann fragte, ob das nicht Zeilen voller Poesie und Schönheit sind. Mich überzeugte das nicht aber ich respektierte ihre Meinung und steckte „Matthias Claudius“ in meine Tasche.
Kunst, die man nicht gleich versteht oder mit der man sich nicht bei der ersten Begegnung anfreundet, in der man sich nicht wiedererkennt oder die man sogar ablehnt, hat etwas Eigenartiges an sich, sie wirkt in uns stärker nach als Gedichte, Melodien, Bilder, die wir sofort für uns vereinnahmen. Mit der eigenen Reife, ändert sich auch der Blick auf Dinge
und nach und nach offenbaren sich uns die versteckten Botschaften, die man im Alter von 18, 19 oder 26 noch gar nicht verstehen kann – manch einem entschleiern sie sich auch nie. So ging es mir mit Gedichten von Matthias Claudius. Noch immer gibt es Bücher, die ich lieber zur Hand nehme als Gedichtbände von Matthias Claudius – z.B. die Werke von zeitgenössischen Dichtern, die ich während unserer Lyrikfeste kennenlernte – aber ich habe auch Zeilen von Claudius gelesen und gehört, die ihn für mich jenseits der Kategorie „Schnulzendichter“ einordneten. Und letztendlich ist es doch so, dass Dichter von heute aus diesem Erbe heraus ihre eigenen, neuen, zeitgenössischen Werke verfassen – „Ein jeder hat so seine Weise“.

JA