Mittwoch, 26. Juli 2023

Kreative Stunde vor Sonnenaufgang

 

Kreative Stunde vor Sonnenaufgang
Dienstag, 25. Juli 2023 / 4:03 bis ca. 4:55 Uhr

Liebe Jana,
es ist 4 Uhr 03 am letzten Dienstag des Monats Juli. Ich sitze am Strand des Senftenberger Sees. Kaum hörbar plätschern ein paar Wellen zwischen den großen Steinen am Ufer. Über mir funkelt mit letzter Kraft das Himmels-W, denn am Horizont schimmert schon der neue Tag in Smaragden, Aquamarinen, Rosenquarzen, Bernsteinen, Amethysten, Saphieren … Die Venus strahlt in ihrer ganzen Schönheit und einen hellen Stern mache ich als Sirius aus – das jedoch nicht zweifelsfrei.
Es ist an diesem Ferien- und Urlaubstag so früh und doch für einiges schon zu spät. Der Sternschnuppenstrom im Perseus, ist jetzt nicht mehr zu beobachten. Eigentlich kann ich nicht verstehen, warum die Perseiden die bekanntesten sind, liegt ihr Auftreten doch mitten im Sommer, wo es früh hell wird und spät die Dunkelheit einsetzt. Es gibt die Quadrantiden im Januar und die Leoniden im November. Im Winter und Herbst hat man länger Zeit für den Blick in den Sternenhimmel – aber die Außentemperaturen lassen widerum einen längeren Aufenthalt im Freien nicht zu.
Ich höre den Viertelstundenschlag der Briesker Kirchturmuhr. Ich höre einen Zug über die Bahngleise, die hinter der Siedlung verlaufen, rattern. Ich höre das Piiiep-Piiep eines Vogels, der dicht über der Wasserfläche an mir vorbei fliegt. Ich höre ein fernes Hundebellen. Ich höre ein Flugzeug und verfolge mit den Blicken das Ziehen und Auflösen des weißen Streifens. Ich höre den Halbstundenschlag. Ich höre das Blätterrauschen der Birken, Pappeln... Die Farben, Klänge und Gerüche sind im Juli anders als im Mai. Ich vermisse den Kuckuck und die Lindenblüten. Ich vermisse die Hoffnungen und Sehnsüchte des Frühlings, die Vorstellung vom Sommer und die Gewissheit, dass in diesem Sommer alles etwas leichter, schöner, zärtlicher, friedvoller, wunder-voller wird. Kein Juni oder Juli oder August kann diese übersteigerten Erwartungen erfüllen. Der Zauber des ganzen Sommers liegt in solchen Momenten wie diesem, manchmal sind es Minuten, manchmal sogar eins, zwei Stunden. Der Zauber eines Augenblicks, eines Tages liegt darin, wie wir uns an ihn erinnern.
Ich höre den Dreiviertelstundenschlag. Die Kassiopeia hat sich im Hellblau aufgelöst. Ich warte auf das Möwenkreischen und auf den Rubin über der Stadtsilhouette am gegenüberliegenden Ufer ~

Yana Arlt