Samstag, 4. Januar 2025

11. Türchen ins neue Jahr

 N O V E M B E R

Jill Francis Käthlitz

 

 

Vom Kleinen Glück und der Kleinen Sorge ~ 3/3

 

[...]

Das Kleine Glück schüttelt den Kopf. „Auf die Größe kommt es gar nicht so sehr an. Ich weiß, dass ein kleines Glück sogar großen Kummer zu schwächen vermag und hilft, die Sorgen zu vertreiben oder zumindest besser mit ihnen umgehen zu können. Das kommt nur auf den Menschen an, ob er das zulässt.“

Ts, was für ein Geschwafel! Warum lasse ich mir überhaupt von dir die Ohren voll blasen?“, beschwert sich die Kleine Sorge. Das Kleine Glück aber lächelt. „Du hast mir doch die ganze Zeit über zugehört und etwas erwidert. Mir scheint, dass du dich recht gern mit mir unterhalten hast.“ Und noch breiter wird ihr Lächeln. „Wir sollten uns zwar vielleicht nicht berühren. Aber nebeneinander existieren – das können das Kleine Glück und die Kleine Sorge wohl ganz gut. Nebeneinander wie Licht und Schatten. So sind wir wohl auch am besten zu erkennen.“

Quasseltante!“, ruft die Kleine Sorge. Aber auch sie lächelt.

Im nächsten Augenblick kommt ein junger Student vorbei, der auch ein Schriftsteller ist. Sofort bemerkt er die beiden – das Kleine Glück und die Kleine Sorge, beide im selben Moment. Ein seltsames, aber interessantes Gefühl ruft diese Begegnung in ihm hervor. Irgendwie kitzelnd und verwirrend. Er heißt beide im neuen Jahr willkommen und lädt sie ein, ihn zu begleiten.

 

~ Lydia Arlt Kirste ~

 


 

 

Freitag, 3. Januar 2025

10. Türchen ins neue Jahr

 O K T O B E R

 

~ Jill Francis Käthlitz ~

 

 

Vom Kleinen Glück und der Kleinen Sorge ~ 2/3

 

[...]

„Wer weiß“, brummt die Kleine Sorge. „Mich haben die großen Sorgen immer davor gewarnt, dass kleines Glück eine kleine Sorge auslöschen kann. Aber wenn ich dich mir so ansehe … Wie ein glückliches Glück siehst du nicht aus, du bist wohl irgendwie geschwächt. Vielleicht hätte ich dich tatsächlich mit meiner Berührung auslöschen können. Aber auf so ein Experiment würde ich es nicht ankommen lassen wollen.“

„Ach ja, geschwächt bin ich“, seufzt das Kleine Glück. „Emsig bin ich immer und überall unterwegs und trete in Erscheinung – aber wozu, das frage ich mich. Ich könnte so viel Sonne in die Herzen der Menschen bringen. Ich kann ihnen helfen, freier zu sein, mehr Sinn zu haben für die wirklich kostbaren Dinge im Leben – aber kaum jemand beachtet mich. Kaum jemand weiß das kleine Glück zu schätzen. Nur große Wünsche haben die Menschen vor Augen, und mit weniger geben sie sich nicht zufrieden.“

Was du da jammerst!“, sagt daraufhin die Kleine Sorge. „Was soll denn ich sagen – ich bin nie und nirgends willkommen. Mich wollen die Menschen immer vertreiben!“

„Das wollen sie vielleicht. Aber dennoch lassen sie dich viel öfter in ihre Gedanken, nicht wahr? Den kleinen Sorgen geben sie stets mehr Raum als kleinen Momenten des Glücks“, meint das Kleine Glück.

Die Sorge zuckt mit den Schultern. „Mit den Menschen habe ich genug zu tun beziehungsweise sie mit mir, das ist richtig“, gibt sie zu. „Aber an deiner Stelle würde ich mich nicht wundern. Kleine Momente des Glücks ziehen doch schnell vorbei, sind so flüchtig wie Seifenblasen. Aber wir kleinen Sorgen setzen uns meist länger in den Gedanken der Menschen fest, wir sind wie ständige kleine spitze Steinchen in ihren Schuhen. Ein beständiges Ärgernis. Und eigentlich können wir dann sogar noch wachsen, bei einigen Menschen entwickeln wir uns rasch. Ja, und sieh dich bloß vor, wenn ich erst einmal eine Große Sorge bin!“, sagt sie und grinst auf unheimliche Weise.

[...]

 

~ Wolfgang Wache ~

 




 

 

Donnerstag, 2. Januar 2025

9. Türchen ins neue Jahr

 S E P T E M B E R

 

Jill Francis Käthlitz

 

Vom Kleinen Glück und der Kleinen Sorge ~ 1/3


Das neue Jahr ist noch jung. Und so, wie es Brauch ist am Beginn des neuen Jahres, wünschen sich die Leute bei jeder Gelegenheit viel Glück für das Neue, das kommt. Ja, Glückwünsche gehören natürlich in diese Zeit. „Aber vor allem sollten sich die Menschen wünschen, das Glück überhaupt erkennen zu können!“, flüstert ein sehr kleines Mädchen mit langen goldenen Haaren. Zu dieser kalten Jahreszeit ist sie barfuß und nur mit einem luftigen Kleidchen durch den Park unterwegs. Ihr Kleid ist weiß mit vielen grünen Punkten. Aber nein, das sind keine Punkte, das sind vierblättrige Kleebätter. Auch in ihrem Haar trägt sie ein vierblättriges Kleeblatt. Die Menschen gehen an ihr vorbei, ohne sie zu bemerken.

Diese Kleine ist nicht irgendein Mädchen. Sie ist das Kleine Glück. Und wer achtet schon in dieser herausfordernden Zeit voller Krisen und Sorgen auf das kleine Glück? Daher ist sie ratlos und ziellos unterwegs.

In Gedanken versunken schlendert sie um eine Ecke – und wäre beinahe mit einem anderen Mädchen zusammengestoßen! „He, pass doch auf!“, schreit die andere, beide zucken zurück. Das andere Mädchen hat ein ziemlich verdrießliches Gesicht, struppige schwarze (oder nur schmutzige?) Haare und trägt ein graues, zerschlissenes Kleid. Ansonsten ist sie genau so klein wie die Goldhaarige. „Ei, verflixt, du bist ja das Kleine Glück! Hättest du mich berührt, hätte ich mich aufgelöst, wäre verpufft!“, schimpft die im grauen Kleid.„Denn ich bin die Kleine Sorge – bleib bloß weg von mir!“

Oh, ver-verzeih“, stottert das Kleine Glück. „Aber ich bin mir nicht mal so sicher, ob tatsächlich du diejenige wärst, die sich aufgelöst hätte. Ich hätte vielmehr befürchtet, dass deine Berührung mich ausgelöscht hätte.“

[...]

 

 ~ JanA ~




Mittwoch, 1. Januar 2025

8. Türchen ins neue Jahr

A U G U S T

~ Michael Georg Bregel ~

 

geh durch die tür nimm
platz und warte gespannt auf
den ersten akkord