Montag, 18. November 2024

Inspirieren lassen ~ Erinnerung*Gedenken

 

Ich vermisse dich! Ich vermisse deine Stimme, deine Märchenlesestimme. Ich vermisse deine großen rauhen Hände. Ich vermisse dein Akkordeon- und dein Mundharmonikaspiel. Ich vermisse den Geruch des Kellers mit den keimenden Kartoffeln in der Schütte und den Regalen voller Fahrradeinzelteilen. Ich vermisse den Öl- und Schmierfettgeruch in der Gartenlaube und den Maiglöckchenduft und den Weintraubengeschmack rundherum. Ich kann mich an so vieles gar nicht erinnern, das ich jetzt vermissen könnte. Es sind Gerüche, Empfindungen, Geräusche, Klänge... aus denen sich Bilder zusammensetzen. Ich schaue auf die Fotos. Der junge Mann mit dem Wanderstock auf dem Felsen in der Sächsischen Schweiz posierend. Der Vater, der mit seiner etwa achtjährigen Tochter im Strandsand der Ostsee spielt. Der Großvater ~ Gibt es irgendwo ein Foto mit dir und mir? An Tagen wie heute ist das Vermissen ganz frisch gewaschen, es flattert auf der Leine des Wäscheplatzes vorm Haus. Ich bringe dir Blumen. Gefallen sie dir? Es ist ein Ritterstern. Ich finde, die Blüten und ihr Name passen zu dir. Ich vermisse dich! Wenn man jemand vermisst, ist man dann zwangsläufig auch traurig? Kann man jemanden auch fröhlich vermissen? Ich möchte gern an Tagen, wie diesen heute, mit jemandem über dich reden. Ich möchte ihn fragen: Kanntest du ihn? Was habt ihr gemeinsam erlebt? Was mochtest du an ihm? Kannst du dich daran erinnern, dass er mit seiner Enkelin Eis essen ging oder ihr das Fahrradfahren beibrachte oder sie auf der Schaukel im Garten unter dem Apfelbaum anstieß? Hat er dir je aus der Patsche geholfen? Ich trage den Ring mit deinen Initialen – an Tagen wie diesen heute. Hast du mir die Geschichte des Rings erzählt oder war es jemand anderes, der sich vielleicht auch nur irgendetwas zusammengereimt hat. Wissen ist ein Geweb, das zuweilen große Löcher hat, weite Maschen, mit ausgefransten Rändern und ausgeblichenen Farben. Was weiß ich über dich... und wie viel nicht. Das spielt für das Vermissen keine Rolle. Ich vermisse dich!

Yana Arlt




Mein Akkordeon



Ich habe ein Akkordeon, das steht in einer Ecke,
es wartet drauf von Zeit zu Zeit, dass ich es da entdecke.

Wenn ich einmal alleine bin und niemand kann mich stören,
kommt mir zu spielen in den Sinn, hinein in mich zu hören.

Ich zieh es mit Bedacht hervor, berühre sanft die Tasten,
und freu mich, wenn ein Ton erklingt aus diesem alten Kasten.

Die Melodien, die falln mir ein aus früh'ren andren Tagen.
Doch Wörter müssen gar nicht sein für alte Rätselfragen.

Und was erscheint, erklingt in Moll. Es sind Erinnerungssplitter.
Es kommt wohl, weil es so sein soll:
nicht süß und auch nicht bitter.


Inge Hoppe-Grabinger


Textquelle: e-stories