Montag, 9. Oktober 2023

Inspirieren lassen ~ Mus(s)

 

Es war ein warmer Septembermorgen, als wir zu acht losmarschierten. Nein, ein Marsch sollte es ja nicht werden auch keine Wanderung – ein Spaziergang auf der Spur der Geschichte des Senftenberger Sees. Auf geht es zum Niemtscher Park! Was die Schwarze Elster mit dem See zu tun hat, die wir gerade auf der Brücke überqueren, erfährt man im Gespräch – auch was es mit dem Kleinen Wiesenknopf, der Taubnessel und der Topinambur auf sich hat, die am Flusslauf wachsen. Die kleine Gruppe erreicht eine Lichtung, die noch vor einem Jahr Gärten waren. Kein Stein von den Laubengebäuden ist mehr zu sehen, keine Zaunsäule, nicht einmal mehr der Springbrunnen. Ein paar Koniferen, die fast militärisch aneinandergereiht stramm stehen, ein paar Ringelblumen und Cosmeen, eine verlassene Schaukel an einem Baumast verweisen darauf, dass hier Gärten lauschige Sommerquartiere für Mensch und Tier waren. Und natürlich Obstbäume sind auf dem Areal zu entdecken. Anfang September ist die Kirschsaison abgeschlossen aber die Äpfel leuchten gelbgrün und rot in den Kronen der knorrigen Alten. Nur eine Handvoll liegt verzehrfertig auf den Baumscheiben im Gras, ein guter Teil ist bereits angeknabbert oder faulig. Der Duft, der Geschmack der Früchte ist nicht zu vergleichen mit der Supermarktware, die normgerecht, in Folie gehüllt in den Obstabteilungen auf Käufer wartet. Es ist wie ein Spaziergang durch das Paradies. Nicht einmal Mücken belästigen uns in dieser Idylle.
Vor einigen Tagen kam ich noch einmal zurück zu diesem Ort und füllte einen großen Beutel mit den köstlichen Früchten. An diesem Morgen nahm ich mir auch die Zeit für weitere Entdeckungen. Hier steht Frauenmantel und dort neigen sich die bereits ergrauten Köpfe der Goldrute, Amaranth leuchtet karminrot wie Fackeln wo einst sicher Wege entlang führten, ganz versteckt weitere Apfelbäume, das herunter getretene Gras um den Stamm deutet mir von anderen Besuchern. Als ich den prallen Beutel in meine Fahrradtasche packe, mein Gesicht der Sonne zuwende, die zwischen den belaubten Kronen zwinkert und tief einatme, fliegen 4 Schwäne über die Wipfel hinweg. Paradies! Aus den Äpfeln werde ich Mus kochen. Ich stelle mir vor, ein Glas zu öffnen, wenn draußen der kalte Wind um die kahlen Laubbäume pfeift und sich auf den verbliebenen Goldrutenstängeln der Schnee zu einer Haube schichtet. Vielleicht werde ich auch einen Kuchen backen oder einen Strudel mit Zimt und Mandeln, dazu gibt es dann eine Kugel Vanilleeis. Das Wunderbare daran ist, dass ich das alles nicht muss. Die verwaisten Gärten sind ein Ort, an den ich nach Belieben zurückkehren kann. Allein oder in Begleitung. Mit einem Beutel für die Ernte oder einfach nur zum Atem holen und Träumen. Vielleicht inspiriert mich der Ort zu ein paar Versen oder zu ein paar LandArt-Bildern. An jenem Septembervormittag hatten wir nicht viel Zeit, denn gut dreiviertel der Spazierstrecke lag noch vor uns. Aber diese Minuten genügten für ein Erinnerungspolster, dass mich wappnet gegen einige Unbillen des Alltags. Ja, und dann gibt es zudem die Gläser mit goldgelbem Apfelmus.

Yana Arlt


Ich liebe dich wie Apfelmus,
so zärtlich wie Spinat,
doch wenn du mich nicht lieben tust,
dann ham wir den Salat.


Joachim Ringelnatz