Freitag, 27. Januar 2017

Manchmal fährt weit draußen ein Zug



Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus

27. Januar


Manchmal fährt weit draußen ein Zug
Antonia Bruha

Manchmal fährt weit draußen ein Zug,
Weit draußen, wo Menschen frei leben,
die Vögel schneiden den Himmel im Flug,
Baumwipfel siehst du im Winde wehen.

Ganz weit, hinter Draht und Mauer. –
Draht und Mauer, und du bist tot.
Fühlst du’s nicht? Es ist ungeheuer,
und weit ist das werdende Morgenrot.

„Ich weiß alles, was du willst sagen:
Durchhalten! Kopf hoch, es geht doch vorbei!
So kurz vor Schluß willst du verzagen?
Mal über Nacht werden wir frei!

Du bist so tapfer, so groß ist dein Mut,
doch ich hab’ blutende Hände,
Heute schleppte ich Steine am Gut,
hab’ Hunger und seh gar kein Ende!

Mein Mann ist erschossen, das weißt du genau,
frei sein ohne ihn hat für mich keinen Sinn,
da wäre der schönste Himmel nicht blau,
Du siehst, wie mutlos ich bin.

Ich hab im Kampf mein Teil getragen,
doch dieses Warten hab ich satt!“ –
Man möchte ihr vieles, ja vieles noch sagen,
doch früh lag ihre Leiche am geladenen Draht.

(Ravensbrück 1943)

Antonia Bruha, Ich war keine Heldin, Wien 1984


entnommen aus: „... und dennoch blühten Blumen / Dokumente, Berichte, Gedichte und Zeichnungen vom Lageralltag 1939 – 1945 / Frauen-KZ Ravensbrück“
Helga Schwarz und Gerda Szepansky (Hg.)
Brandenburgische Landeszentrale für politische Bildung