Montag, 23. Dezember 2024

Inspirieren lassen ~ Heiligabend auf Hiddensee

Ein Spaziergang an der Ostseeküste von Hiddensee anno 1764. Der 27-jährige Jacob Philipp Hackert studierte an der Akademie der Bildenden Künste Berlin und fertigt seit 2 Jahren auf der Insel Rügen Naturstudien an, er war bereits in Schweden, wurde vom schwedischen Regierungsrat Adolf Friedrich von Olthof eingeladen. Er hat sich der wirklichkeitsgetreuen Darstellung von Landschaften verschrieben, den Veduten und ist für zwei von ihnen, die vor ca. 3 Jahren entstanden, gelobt worden. Im kommenden Jahr wird er nach Paris gehen. Er wird in den nächsten Jahren in Frankreich und besonders in Italien unterwegs sein, wird wichtigen Persönlichkeiten und prägenden Lehrern begegnen. Der Weg eines anerkannten Künstlers liegt vor ihm. Der Wind fegt über die graublaue Fläche der Ostsee, peitscht das Wasser in Wellen auf, verfängt sich in den Segeln eines Schiffes. Es ist Heiligabend, der 24. Dezember. Jacob fröstelt, der feine Nieselregen durchtränkt seinen Mantel und den Filz seines Hutes, das Licht der „Luchte“ streift über die Insel und das Meer, bis zu den Schiffen. Doch er ist nicht allein unterwegs, der gleichaltrige Georg David Matthieu, Kupferstecher und Portraitmaler, ist ein paar Schritte entfernt von ihm mit zwei weiteren Männern gestikulierend im Gespräch, ihre Rockschöße und Schals flattern im Wind. Jacob und Georg sind auf dem Weg zum Gottesdienst in der Inselkirche, die 1332 als „Bauernkirche“ geweiht wurde, aber nicht zum 1536 aufgelösten Zisterzensierkloster gehörte. Er schließt zur kleinen Gruppe auf und ruft gegen die Böen Georg zu, dass sie jetzt weiter müssten. Am Abend nimmt Jacob ein Blatt Papier zur Hand, mit der Feder und Graphitstift entstehen Küstenverläufe und Wasserstrukturen, drei Figuren, die durch ihre Kleinheit aber in zentraler Position im Bild die überwältigenden Dimensionen von Steilküste und Meer betonen, durch schwarze Tusche und Lavur erhält das Bild Tiefe und Dynamik.
260 Jahre später, Dezember 2024, ich nehme das Buch „Hiddensee – Insel der Fischer, Maler und Poeten“ von Michael Baade und Wolf-Dietmar Stock in die Hand, das ich Ende November auf dem Rückweg zum Hafen Vitte gekauft hatte, um dort die Fähre zurück in die „Zivilisation“ zu besteigen. Ich schlage das Taschenbuch auf, durchblättere es, bleibe an diesem und jenem Bild mit Fischern beim Netzflicken, Fischerbooten, blühendem Ginster, Leuchtturm und Steilküste hängen. Dann beginne ich zu lesen „Die Entdeckung des Nordens für die Kunst“ und stocke bei den Sätzen: „Hackert zählt zu den ersten bedeutenden Malern, die auf Rügen und Hiddensee arbeiteten. Er machte am 24. Dezember 1764 eine Zeichnung.“ … ich merke mir den Namen und das Datum, recherchiere … spinne eine kleine Geschichte zusammen … vielleicht historisch nicht ganz korrekt – ich bin ja kein Historiker, kein Kunstwissenschaftler – aber mit Phantasie und mit der Erinnerung an meinen 5-tägigen Aufenthalt auf Hiddensee Ende November 2024... als es stürmte und nieselte und ich am Strand entlang ging ...

Yana Arlt

 

Wenn man Weihnachten ans Meer ginge
(für alle Weihnachtsmüden und die, die es nicht werden wollen)
Katja Josteit

Wenn man Weihnachten ans Meer ginge
würde der Bratenduft verwehen
der Mief der Familienstreitigkeiten sich in Luft auflösen
der Gestank der Missgunst vom Seewind davon getragen werden
und die Seele könnte wieder fliegen.

Wenn man Weihnachten ans Meer ginge
würde die Last der Geschenke von einem abfallen
und der Druck der Verpflichtungen davonwehen.
Die falschen Schuldgefühle könnten sich im Seewind nicht halten
und der Kopf würde endlich einmal frei.

Wenn man Weihnachten ans Meer ginge
könnte man die klare, kalte Luft einatmen
das salzige Spritzwasser auf der Haut fühlen
mit dem Tosen der Wellen seine Ohren füllen
und das Herz dem Nordwind öffnen.

Und wenn man Weihnachten nicht allein ans Meer ginge
sondern mit anderen lieben Menschen
dann könnte man sie (nach oder trotz all dem) umarmen
und vielleicht selbst umarmt werden
und Weihnachten wäre endlich wieder Weihnachten.



Textquelle: kuestenkidsunterwegs

 


Jacob Philipp Hackert "Auf Hiddensee" (1764) ~ zum BILD