Freitag, 1. April 2022

WOLFGANG WACHE: Was die Lausitzer Lyrikerin Yana Arlt in Brieske inszenierte, war ganz große Kunst

Gleich vorweg, dieser Beitrag ist keine Literaturkritik oder Theaterkritik über eine literarisch-künstlerische Veranstaltung, die ich am vergangenen Wochenende in der Briesker Martin-Luther-Kirche erleben durfte. Der von mir geschriebene Text ist der Versuch, mit Worten einen langanhaltenden Beifall zur Würdigung dieses besonderen literarischen künstlerischen Ereignisses zu erzeugen. Ein Applaus für eine Lausitzer Künstlerin, die eine große Aufmerksamkeit in der literarischen Szene der Lausitz verdient. Diese Lyrikerin verdichtet ihre tägliche Lebenswelt schonungslos. Sie spricht Gedanken aus, die wir sehr oft nicht wahrhaben wollen, weil sie unsere Bequemlichkeit zerstört. Yana Arlt eine Künstlerin, die mit leisen Worten in große Lebensordnungen eindringt, lud am 26. März 2022 zu ihrer selbst inszenierten Leseperformance ein. Der Kirchenraum war von Kerzenlichtern erleuchtet. In einer Atmosphäre der Feierlichkeit erklingen die ersten Töne eines Harmoniums. Die Kirche – ein Garten, ein Sternenzelt.


Dann erfüllt eine weibliche Stimme, die Stimme der Dichterin, die Kirche. Begleitet von der Musik im Kerzenschein, sagt sie: „Spüren Sie die Vibrationen des Lebens. Gehen sie in die Mitte!“.

Vom Foyer aus entführt uns die Lausitzer Lyrikerin in eine Traumgalerie – gemalte Bilder wachsen in den verdichteten Worten über den Leinwandrand hinaus.
Wir spüren die zärtliche Berührung des durch getöntes Kirchenfensterglas gebrochenen Abendlichtes. Die Wortkünstlerin lädt uns ein, Gast zu sein in den Gärten der Verwandlungen, wo die fruchtigen Kuchen nach Rosenwasser duften. In den Träumen gehen wir in ein Bild hinein und laufen im Bild über Wiesen und hören im Dröhnen der Maschinen das Zirpen einer Grille.

Yana Arlt erzählt uns die Geschichte von Pan, der sich in der Rolle eines Träumenden eingerichtet hat.Dann lenkt das Licht unseren Blick zu einem großen Schatten eines Leuchters an der Decke. Wir blicken nach oben ins beleuchtete Kirchengewölbe und die Stimme der Lyrikerin sagt in die Stille hinein: „Es wird immer so weitergehen, denkt er. Das Kind wird geboren und der erste Atemzug schmerzt.“ Etwas später die Frage: „Wo werde ich gebraucht, so fragt sich der Einzelne.“ Und Yana Arlt weiß zu berichten, dass die Antwort uns eingeschrien wird und eingeprügelt und aufgedrückt und aufgeladen. Wozu werde ich gebraucht, was hat man von mir gewollt?


Einige Sekunden später steht die Lyrikerin im Kerzenschein auf der Altarstufe, fordert auf bis fünf zu zählen und dann loszugehen. Dabei erleben wir, wie fünf Spatzen in einer Pfütze badend. Immer wieder begegnen uns diese Fünfmaligkeit so auch, wenn man nach fünf Jahren eine Nummer wählt oder einen fünfarmigen Leuchter anzündet. Immer begleiten uns die improvisierten Töne der Orgel, auch wenn das Intermezzo op. 118 von Brahms fünfmal hintereinander ertönen würde. Yana stellt den Zuhörer vor Herausforderungen, dabei sagt sie mit Versen, dass sie wartet und nicht weggeht, sie bleibt. Sie erwartet, was auf sie zukommt und sagt uns, dass man nicht die Geduld dabei verlieren sollte. „Verlier nicht den Boden unter den Füßen und nicht den Halt.“ Am Altarbild steht die Dichterin, erzählt von den Rissen und Schnitten auf den Schultern eines menschlichen Wesens und sie sagt uns mit ihren Versen, dass dieser, nachdem er starb, tot war, auferstand und lebt, Ostern war's. Welche Farbe die Erinnerungen haben, wie das Land der Kindheit schmeckt sind Fragen, die wir als Zuhörer auf unseren täglichen Lebensweg mitnehmen können. Natürlich gibt die Dichterin einen Hinweis auf die Antwort, indem sie meint: „Lasst uns einander Freud' und Freunde sein“. Sie nimmt uns mit auf den Weg, sie durchschreitet den Kirchenraum und steht dann oben auf der Empore und ruft uns, dem Gast dieses künstlerisch lyrischen Abends zu: „Weißt du, wie unglücklich Lyriker sind.“ Sie sagt uns mit ihren Versen, dass Dichter summen, Lieder, mit deren „Textlosigkeit andere auf dem Rummelplatz eine Geisterbahnkarte kaufen“. Klänge der Orgel vereinen zum Text der Lyrikerin Novemberklänge zwischen Nebel und Laternenlicht.
Yana steht unter dem rötlich bestrahlten, kunstvoll gemalten Sternenhimmel und spricht laut: „Vom Himmel hoch, da komm ich her“, und überschüttet uns mit einer Flut von Lebensbürokratie. Durch die Zeilen teilt sie uns mit, dass ihr zur Ausübung dieser Tätigkeit als Lyrikerin keine Genehmigung vorliegt. Spätestens an dieser Stelle hat der Zuhörer erkannt, dass Yana Arlt befugt ist, ihre Sichtweise zum Dasein der Menschheit in lyrische Verse zu fassen. 

Zum Abschluss des besonderen Abends nahmen uns der Lichtgestalter Paul Georg Lux, der einfühlsam improvisierend begleitende Orgelspieler Wilfried Wilke mit seinen musikalischen Variationen und die Lyrikerin auf den langen Weg des Lichts mit. In den letzten Versen dieser 70-minütigen Licht-Lyrik-Musik-Veranstaltung erinnert uns Yana, dass das Licht einer Flamme auch Hoffnung signalisiert, Hoffnung auf ein friedliches Miteinander. Das, was an diesem Abend in der Briesker Kirche durch die Künstlerin Yana Arlt inszeniert wurde, war ganz große Kunst. Ihr ist gelungen, Lichttechnik, Orgelklänge und das gesprochene Wort unter dem Kirchengewölbe verschmelzen zu lassen. Die Stimme der Dichterin wurde durch den Kirchenraum, durch die musikalischen Variationen und dem kunstvollen Licht getragen. Beifall und Dank dem gelungenen Zusammenspiel der drei Lausitzer KünstlerInnen. Zum Schluss dieses Abends verbeugt sich die Briesker Lyrikerin vor ihrem begeisterten Publikum. Yana Arlt versprach, dass bald die Texte dieser einmaligen Aufführung in Buchform erscheinen werden.

Wolfgang Wache, 30. März 2022