Montag, 11. September 2023

Inspirieren lassen ~ Marathon

 

Wie bereitet man sich auf einen Marathon vor? Es gibt unzählige Trainingspläne, Tipps, Ausstatter. Aber wer jetzt beim Wort Marathon gleich an den Laufmarathon dachte, der ja auch ursprünglich aufgrund der Strecke des Boten Pheidippides zwischen Marathon und Athen gemeint war, der liegt im Fall des Marathons, den ich meine, falsch. Es gibt auch den Schwimmmarathon, den Tanzmarathon, sogar den Lesemarathon oder Marathonsitzungen. Der Name einer griechischen antiken Stadt ist zum Synonym für landwierige Unternehmungen geworden, für die man sich gut wappnen sollte. Ich nahm am vergangenen Samstag an einem Orgelmarathon teil. In 7 Stunden standen Kirchen in 7 verschiedenen Ortschaften der Mittellausitz auf dem Programm. 1 Kantor – 7 Orgeln – 7 verschiedene jeweils 30minütige Orgelprogramme. Wie bereitet man sich auf einen Marathon vor - auf einen Orgelmarathon? Die Gesichter in den Zuhörerreihen wechselten, einigen begegnete man auch an weiteren Spielorten, die beiden wiederkehrenden waren die des Orgelspielers und die des Pfarrers, der durch das Programm führte. Wer kommt denn auf so eine Idee? Und das bei durchschnittlich 28°C bis 30°C Außentemperatur und Sonne satt. Ich ließ ein Konzert aus, die halbe Stunde nutzte ich für ein improvisiertes Picknick im Schatten einer großen Linde auf dem Kirchengelände. Gab es für die beiden Männer zwischen 13 Uhr und 20 Uhr die Gelegenheit, etwas zu trinken, etwas zu essen? Aber vielleicht spürten sie die Hitze gar nicht so deutlich, empfanden kaum Durst und Hunger, denn Konzentration, Anspannung und Zeitdruck ließen den Körper weder Müdigkeit noch Erschöpfung oder grundlegende Bedürfnisse empfinden. Auch ich befand mich in einem mentalen Ausnahmezustand. Um 19 Uhr startete das letzte Konzert und wie der Orgelspieler sich auf die Noten, Tasten, Register, Pedale fokussierte, so überließ ich mich den Klängen aus den hunderten Pfeifen. Es folgte die Verabschiedung, ein brausendes Nachspiel und dann war der letzte Ton verklungen. Die Glocken läuteten. Der milde Abend mit einem bezaubernden Farbspiel am Horizont empfing die Gäste vor der Kirchtür. Einige kamen ins Gespräch, andere eilten zum Auto oder schwangen sich unverzüglich auf ihr Fahrrad. Das war's? Es ist alles gespielt, alles gesagt? Ich kenne die Menschen um mich herum kaum und doch scheinen wir eine Gemeinschaft geworden zu sein und ich möchte rufen: Warten Sie, trinken wir noch einen Tee zusammen oder ein Glas Wein, lassen wir gemeinsam dieses Erlebnis nachwirken. Ich habe dieses Gefühl auch bei einer längeren Zugfahrt mit den Mitreisenden des selben Abteils, bei einem mehrstündigen Theaterstück mit dem Publikum der umliegenden Sitzplätze, bei einem Restaurantbesuch mit den Gästen an den näheren Tischen. Nein, wir kennen uns nicht. Wir wissen nichts voneinander. Uns eint einzig die Entscheidung, an diesem Ort – dieser Kirche, diesem Zug, diesem Restaurant, diesem Theater... - auf einem Platz zu sitzen. Es ist nicht einmal gewiss, dass einer der anderen Menschen das selbe erwartet und wahrnimmt wie ich. Wir sind Fremde, deren Leben sich kurz berührten. Auch ich steige ins Auto und fahre nach hause. Ich werde auf die Frage: Na, wie war's? keine befriedigende Antwort haben.

Yana Arlt

Die Orgel ist ohne Zweifel das größte, das kühnste und das herrlichste aller von menschlichem Geist erschaffenen Instrumente, sie ist ein ganzes Orchester, von dem eine geschickte Hand alles verlangen, auf dem sie alles ausführen kann.

Honoré de Balzac