Ich habe für mich eine neue Kunstform entdeckt! Mag sein, dass schon jemand vor mir mit dieser Art der Bildergestaltung experimentiert hat, aber für mich ist das eine ganz neue Erfahrung. Ich kombiniere auf dem Vorlagenglas des Kopierers Grafiken wie Frottagen und Kohlezeichnungen mit gerade frisch gesammelten Blättern & Blüten. Vieleicht gingen auch flache Rindenstücken, kleine Zweige oder Sand. Deckel schließen und eine Farbkopie machen. Durch die Dreidimensionalität der Objekte entstehen Schatten und Tiefen, durch das Schließen des Deckels verschieben sich die floralen Elemente - die Kopie, das entstandene Bild kann man noch einige Male ausdrucken aber es bleibt ein einmaliges Arrangement, denn schon wenn man den Deckel wieder hebt, verschieben sich die Zeichnung, ein Blatt, ein Zweiglein, wenn vielleicht auch nur um halbe Millimeter. Das erste Mal, dass ich so ein Bild gestaltete, nahm ich Lindenblätter, Zeichenkohle, einen Lindenzweig mit Blättern und Früchten. Es wurde das Cover des Lyrikzin 11 „Domownja/ Heimat“. Mit dem Blumenmädchen, das eine Zeichnung von Wolfgang Wache ist, experimentierte ich mit Sommerflieder, Gleditschie, Ranunkelstrauch und dann kam noch eine Blüte einer weißen Rose hinzu. Dieses Bouquet gab ich dem Mädchen „in die Hand“, legte das Blatt vorsichtig auf die Glasplatte und … bemerkte nicht, wie die Blütenblätter der Rose sich gelöst hatten und sich auf dem Bild nun über das Kleid und das Gesicht verteilten. Nein, so konnte es nicht bleiben. Also, Deckel vorsichtig öffnen, Papier vorsichtig anheben, die Blütenblätter achtsam verschieben... Ich hatte keine Ahnung, wie die neue Kopie aussehen würde. Auch dieser Blütenblätterfall gefiel mir noch nicht. Das gleiche Procedere noch einmal: öffnen, anheben, verschieben, ablegen, schließen, kopieren. Ich bemerkte gar nicht, wie Minute um Minute verstrich, wie sich nicht nur der große Zeiger der Uhr sondern auch der kleine bewegten. Ich war vollkommen versunken in das Drapieren der Naturmaterialien, denn an der Zeichnung konnte ich nichts ändern, nur die Blüten und Blätter waren variabel. Jedoch hatte ich ja nicht unbegrenzt Zeit, denn diese flüchtigen Formen verändern sich, welken, zerfallen, knicken... den ganzen Abend, in der Nacht, den nächsten Tag überlegte ich, welche Experimente man noch starten könnte und kam auf Sand, auf Grashalme, Brombeeren, Holzspäne... auch Wollfäden, Knöpfe, Haare... Wassertropfen... LandArt – nicht als Foto sondern als Fotokopie! Ich bin neugierig geworden, werde mit ganz anderem Blick die Wege gehen und fahren und im Kopf klackern die Ideen wie Billardkugeln aneinander, setzen sich gegenseitig in Bewegung... Anstoß gab ein Lindenblatt und dann das Coverbildmädchen von Wolfgang Waches Gedichtband „Ein Strauß Kornblumen“.
Yana Arlt
Ja, ich weiß, an dieser Stelle könnte jetzt ein Gedicht aus dem Lyrikband „Ein Strauß Kornblumen“ stehen, ich entscheide mich aber für Novalis' „Blumenmädchen“ und hoffe, ihr kommt zum 13. Lausitzer Lyrikfestival in die Gartenstadt Marga, um Wolfgang Wache zu erleben, wie er seine Texte selbst rezitiert.
Novalis
Blumenmädchen
Sie
sang den Frühling sacht herbei –
der Klang der Stimme zwischen
Winden,
die erste Wärme nach dem Winter
den Blüten brachten,
die noch schliefen.
Und Vögel banden ihre Haare,
sie
flochten sie zu feinen Kränzen,
die seiden braun im weichen
Glänzen
der Sonne ihre Strahlen stahlen.
Ihr Augenlicht,
blau wie der Himmel
und klar wie junge Bergesquellen,
verhieß
das erste, leise Schellen
von Glöckchen, die noch klingen
sollten.
Unendlich mag sie wohl erscheinen
den Träumern,
die auf ewig suchen
die Liebe, die sie oft verfluchen
und doch
so sehnlichst stets vermissen.
Textquelle:
poetry.de