Jana Weinert
Dichter dran - eine Nachlese
Kein Gedanke
daran, Fotos zu machen. Von keinem der drei Tage auch nur ein
einziges Bild. Dafür Eindrücke und Filme im Hirnskasten, in
Herzkammern. Gesprächsmomente. Textfragmente. Gesichter dazu,
Vortragsstimmen und Gesten. Landschaft. Ortschaft. Garten mit
Seidenhühnern und Hund. Garten mit Tischen und Menschen im
Sonnenlicht. Lesende und Zuhörende unter dem schattenspendenden
Sternzelt auf dem Platz des Friedens. Spätsommerwind bringt den Duft
reifer Äpfel aus den Gärten und zupft verspielt an den
Manuskriptseiten. Was sitzt ihr hier im Schatten, will er sagen,
kommt in die Gärten. Das allerdings ist für den Sonntag geplant, wo
ich schon nicht mehr in Marga dabei bin. – Die nächtliche Brücke
über die Elster mit Blick tief hinein in die Milchstraße. Der
Liebste und ich, jeder den Kopf in den Nacken gelegt, trinken diesen
Ausblick in die Unendlichkeit. Oder ist das Universum gar nicht
unendlich? Atmet es und spuckt uns irgendwann aus? Und wenn ja,
wohin? ... Jetzt mische ich schon Orte und Ereignisse. Darum kurz:
Freitag reisten
wir, aufgehalten nur vom Stau um Potsdam, nach Plessa, wo wir unser
Zimmer in der Elstermühle bezogen. Die Mühle wurde von Ingrid Kaech
und ihrem Mann zum Schriftstellerhaus um und ausgebaut. Wir fühlten
uns sofort willkommen. Freundliche Begrüßung, behagliche Räume und
ein Garten, in dem Seidenhühner und Kaninchen leben und ein bäriger
Hütehund freudig auf uns zugetapst kam.
Wir fuhren sofort
weiter nach Brieske Marga, um noch etwas vom Auftakt des
Lyrikfestivals mitzuerleben. Von nun an wurde die Zeit so reich und
intensiv, dass ich gar nicht auf den Gedanken kam, ein Handy zwischen
mich und die Welt zu halten. Die Ereignisse waren im Fluss. Wie soll
man einen Fluss festhalten. Den Strom poetischer Bilder, den
Gesprächsfluss , den Tanz der Begegnungen für auch nur eine Sekunde
anhalten, um für den Knipps den richtigen Ausschnitt zu wählen. So
vergaß ich das Fotografieren komplett. Andere waren da
multi-tasking-fähiger. Wir alle waren dicht dran an der Dichtung,
den Dichterinnen und Dichtern. Und besonders schön: ich durfte dank
Ingo Cesaros mobiler Setzerei endlich wieder die kühlen
bleigegossenen Lettern einer vier Cicero großen Plakatschrift in
Händen halten.
Als ich vor jetzt
genau 40 Jahren meine Schriftsetzerlehre begann, unsicher und fast
noch ein Kind, ahnte ich nicht, dass dieses Handwerk mich so
nachhaltig froh machen würde, wie es das heut tut. Heutzutage zieht
es mich in jede der selten gewordenen Bleisetzereien und ich muss
meine Hände nach den Lettern ausstrecken, Zeilen bauen, anordnen zu
einem Format, das in sich dicht und im wahrsten Sinne schlüssig ist.
Vielleicht ist das noch etwas, das ich noch einmal aufnehmen möchte.
Eine kleine eigene Setzerei und Druckerei. Zum Spielen und
Experimentieren - und meditativen Schriftsetzen. Das eigentlich
Schriftstellen ist. In Marga staunte ich, dass es inzwischen
Setzmaterial aus Kunststoff gibt, das genauso exakt für den Bau
eines Schriftsatzes herhält, wie die Bleigussblindmaterialen. Wir
durften in Marga Haikus setzen und erfuhren in diesen Tagen auch
etwas über die Philosophie des Haikus.
Auf zwei Bühnen
wurde gelesen. Aufrüttelnde, politische Texte, melancholische und
bitter-süße Liebeslieder ans Leben, magische, humorige,
spitzfindige, trickreiche Stücke.
Wollten wir nicht
auch darüber sprechen, was Lyrik heute ist? Oder bewegten wir uns
viel zu sehr in ihr, ließen uns von ihrem Strom tragen, um etwa eine
Standortbestimmung vorzunehmen. Das ganze Wochenende war poetisch
gewebt. Man geht heraus und sieht die Welt etwas anders an. Klänge
es nicht so pathetisch würde ich sagen, mit der Poesie öffnet sich
der Blick für das Wesen der Dinge. Und sei es auch noch so winzig.
ein jedes bekommt Gewicht, steht bedeutsam inmitten anderer
bedeutsamer Teilchen. Auch die Farben werden kräftiger, die
Strukturen, auch die tiefen, sichtbarer. Poesie ist keine Droge,
verändert aber die Wahrnehmung. Macht glücklich. Zentriert. Zeigt
die Schwingungen, Lebensrhythmen, auch die verborgenen, und schafft
Raum, viel viel Raum - ist also gut fürs Herze und fürs Atemholen.
Medizin.
Am Büchertisch
kamen wir miteinander ins Gespräch. Es ging um die Wege ins
Schreiben,, auch ganz pragmatisch darum, wie vom und fürs Schreiben
zu leben sei. Es ging um die Wahl von Themen und Stoffen, um
Lebensmuster. An runden Tischen machten wir einander vertraut, beim
gemeinsamen Essen, das übrigens köstlich war.
Die endlich wieder
unmittelbare Begegnung mit Kolleginnen und Kollegen und Publikum tat
gut.
Am Sonntag
trennten sich unsere Wege: die Kolleginnen und Kollegen in Marga
lasen erst in den Gärten der Gartenstadt und ließen dann den Tag
bei einer gemeinsamen Schiffsreise ausklingen.
Ich und der Liebste blieben in der
Elstermühle in Plessa, im Schriftstellerhaus. Hier war „Tag der
offenen Tür“. Ursprünglich für Mai geplant hatte es
Ausbauverzögerungen gegeben und es fehlten im Frühjahr die für
einen "Tag der offenen Tür" entscheidenden Elemente: die
Türen. Also wurde es der 4. September. Es gab Führungen durchs
Mühlenmuseum und durchs Schrifstellerhaus, Spaziergänge an der
Elster hin zu einer alten und besonders schön gewachsenen Eiche. Im
großen Garten saßen die Menschen zahlreich und ließen sich
Getränke und Imbiss schmecken. Der Kleintierzüchterverein war mit
von der Partie und hatte Tiere – kleine also – im Garten
platziert, Würstchen auf den Grill gelegt und enorme Kuchen
gebacken. Im Gastraum durften wir lesen. Und wie so oft war das
Publikum bunt gemischt und sehr interessiert. Das ist, was ich im
ländlichen Brandenburg genieße – die Leute kommen und wollen
etwas hören. Ich las am Vormittag aus "Nachtbaden" und
eine Geschichte über meinen Großvater. Nachmittags las uns Reinhard
Stöckel etwas aus seinem Roman "Bärensommer".
Alles das klingt und schwingt noch
immer in mir nach. Dank an das Nachwuchs-Literatur-Zentrum in Brieske
Marga, an Yana Arlt und Wolfgang
Wache, an alle Unterstützerinnen und Unterstützer des
Lyrikfestivals. Dank an Ingrid
Kaech und ihren Mann, an Anja
Manz und alle anderen, die dort dafür sorgten, dass der Tag so
ein zauberhafter war. Schön Euch getroffen zu haben, Carmen
Winter, Steffen
Marciniak, Stefan
Reschke, Lena
Inosemzewa, Ingo
Cesaro, Ursula
Henriette Kramm-Konowalow, Johann
Seidl, Anja
Manz, Ingrid
Kaech.
Und wie gesagt.... Fotos zu machen habe
ich schlichtweg vergessen.
Textquelle: https://www.facebook.com/jana.weinert.52