Kreative Stunde vor
Sonnenaufgang
Dienstag, 25. Juli 2023 / 4:03 bis ca. 4:55 Uhr
Liebe Jana,
es ist 4 Uhr 03 am
letzten Dienstag des Monats Juli. Ich sitze am Strand des
Senftenberger Sees. Kaum hörbar plätschern ein paar Wellen zwischen
den großen Steinen am Ufer. Über mir funkelt mit letzter Kraft das
Himmels-W, denn am Horizont schimmert schon der neue Tag in
Smaragden, Aquamarinen, Rosenquarzen, Bernsteinen, Amethysten,
Saphieren … Die Venus strahlt in ihrer ganzen Schönheit und einen
hellen Stern mache ich als Sirius aus – das jedoch nicht
zweifelsfrei.
Es ist an diesem Ferien- und Urlaubstag so früh
und doch für einiges schon zu spät. Der Sternschnuppenstrom im
Perseus, ist jetzt nicht mehr zu beobachten. Eigentlich kann ich
nicht verstehen, warum die Perseiden die bekanntesten sind, liegt ihr
Auftreten doch mitten im Sommer, wo es früh hell wird und spät die
Dunkelheit einsetzt. Es gibt die Quadrantiden im Januar und die
Leoniden im November. Im Winter und Herbst hat man länger Zeit für
den Blick in den Sternenhimmel – aber die Außentemperaturen lassen
widerum einen längeren Aufenthalt im Freien nicht zu.
Ich höre
den Viertelstundenschlag der Briesker Kirchturmuhr. Ich höre einen
Zug über die Bahngleise, die hinter der Siedlung verlaufen, rattern.
Ich höre das Piiiep-Piiep eines Vogels, der dicht über der
Wasserfläche an mir vorbei fliegt. Ich höre ein fernes Hundebellen.
Ich höre ein Flugzeug und verfolge mit den Blicken das Ziehen und
Auflösen des weißen Streifens. Ich höre den Halbstundenschlag. Ich
höre das Blätterrauschen der Birken, Pappeln... Die Farben, Klänge
und Gerüche sind im Juli anders als im Mai. Ich vermisse den Kuckuck
und die Lindenblüten. Ich vermisse die Hoffnungen und Sehnsüchte
des Frühlings, die Vorstellung vom Sommer und die Gewissheit, dass
in diesem Sommer alles etwas leichter, schöner, zärtlicher,
friedvoller, wunder-voller wird. Kein Juni oder Juli oder August kann
diese übersteigerten Erwartungen erfüllen. Der Zauber des ganzen
Sommers liegt in solchen Momenten wie diesem, manchmal sind es
Minuten, manchmal sogar eins, zwei Stunden. Der Zauber eines
Augenblicks, eines Tages liegt darin, wie wir uns an ihn
erinnern.
Ich höre den Dreiviertelstundenschlag. Die Kassiopeia
hat sich im Hellblau aufgelöst. Ich warte auf das Möwenkreischen
und auf den Rubin über der Stadtsilhouette am gegenüberliegenden
Ufer ~
Yana Arlt