Wie kann man am besten durch die
Lebensgeschichte eines anderen Menschen spazieren? Wenn man sich
etwas anschaut, etwas anhört, das ihm wichtig ist, das er gar selbst
erschaffen hat. Man betrachtet aufmerksam ein Bild, das er in
aufwändiger Arbeit gemalt hat. Man durchstöbert seine Fotoserien zu
speziellen Themen. Man hört genau hin bei seinen Kompositionen und
Liedtexten. Man blättert in seinen Textsammlungen – von Haiku bis
Romantrilogie. Man verfolgt jede Geste seiner Tanzchoreographie. Man
berührt seine Skulpturen und Plastiken und lässt sich berühren.
Man steigt mit Augen und Ohren in seine Filme. Dieser andere Mensch.
Dieser Andere. Der uns fremd ist. Der Unbekannte. Der Unerwartete.
Was führt zwei Menschen zusammen? Ein Thema. Eine Idee. Ein Traum.
Ein Empfinden. Ein Gefühl. Wie unterschiedlich PianistInnen Johannes
Brahms' „Intermezzo op.118 Nr.2“ interpretieren. Und doch, die
Art des Klavierspiels bringt bei dem einen in mir etwas zum Klingen
oder Leuchten – bei dem anderen nicht. Wie wohl Brahms selbst dabei
empfunden hat? Erfahre ich beim Hören etwas über den Musiker, der
im Mai vor 190 Jahren geboren wurde? Johannes war verliebt in Clara,
die war 14 Jahre älter als er und verheiratet mit Robert, mit dem
sie auch sieben Kinder hatte. Eine verzwickte Geschichte. Muss Liebe
zu einem anderen Menschen, zur Kunst, zur Natur ~ immer so
kompliziert sein? Ist sie nichts „wert“, wenn wir uns nicht daran
reiben, daran verzweifeln, daran verletzen?
„Was
ist ein Dichter? Ein unglücklicher Mensch, der heiße Schmerzen in
seinem Herzen trägt, dessen Lippen aber so geartet sind, daß,
während Seufzer und Geschrei ihnen entströmen, diese dem fremden
Ohr wie schöne Musik ertönen.“ Worte von Søren
Kierkegaard.
Gerade habe ich das Buch „Schritt für Schritt“
von Philipp Lumpp gelesen – und siehe, auch er fand zur Musik durch
Leid und Schmerz. Zuerst einen ganz konkreten, körperlichen, eine
Verletzung, der das weitere Betreiben des Kampfsports unmöglich
machte, dann ein emotionaler, psychischer, seine Freundin trennte
sich von ihm – hunderte Kilometer entfernt, per Telefon. Daraus
entstehen doch die besten, die großartigsten Kunstwerke! Ihr
KünstlerInnen der Welt, seid dankbar für Leid und Schmerz in eurem
Leben! Leichtfertig dahin gesagt. Ist nun die Melancholie, die
Traurigkeit, der Schmerz der natürliche Zustand? Oder sind es
Freude, Glück und Harmonie? Bedingt das eine das andere? Wie lange
hält man den Trübsinn, die Dunkelheit, die Niedergeschlagenheit
aus? Philipp griff zur Gitarre, übte, nahm Unterricht, auch
Gesangsunterricht, ließ sich zum Texten beraten, traf Menschen, die
sein Musikmachen bereicherten, dann auch Menschen, mit denen
Musikvideos entstanden... Was führt zwei Menschen zusammen? Ein
Thema. Eine Idee. Ein Traum. Ein Empfinden. Ein Gefühl. Eine Sache
wie sie hundertfach, vielleicht tausendfach täglich auf der Welt
geschieht. Eine Begegnung. Eine Berührung. Ein Gespräch. An wie
vielen solcher Gelegenheiten gehen wir vorüber? Wie viele
Begegnungen beenden wir, ehe sie begonnen haben?
Yana Arlt
„Er
[Jochen Thomas] hatte Recht. Ich war mittlerweile weiter als das
Lied. Nachdem mir das klar wurde, schrieb ich den finalen Liedtext
noch in derselben Nacht zu Ende. Ab diesem Zeitpunkt fühlte es sich
komplett an. Zuerst die Erinnerung und die Trauer. Das Solo leitet
dann einen Wandel ein. Einen Wandel hin zu Akzeptanz und Wohlwollen.
[…] Ich bin dankbar für jeden Moment, den wir zusammen verbringen
durften und dankbar für alles, was ich fühlen durfte. Der Mann der
ich damals war, der bin ich heute nicht mehr. Und auch hierfür danke
ich Dir.“
Philipp Lumpp „Schritt für Schritt / 3 –
Andauernd“