Ich erinnere mich an eine verrückte
Idee im vergangenen Jahr. Zwei Frauen, die die Gedichte der Lyrikerin
Eva Strittmatter lesen und immer wieder lesen und manchen Vers
auswendig können. Die Achtung vor der Frau, die in erster Linie wohl
Mutter von vier Söhnen, Hausfrau, Ehefrau des gefeierten
Schriftstellers Erwin Strittmatter und später dessen literarische
Nachlassverwalterin war. Zumindest in der Wahrnehmung vieler. Die
junge Frau studierte Germanistik in Berlin und arbeitete als
Lektorin, Redakteurin … und zum großen Erstaunen schrieb sie.
Keine Romane wie ihr zweiter Ehemann Erwin, sondern Kritiken,
Kinderbücher, Kurzprosa und Briefe. Und dann auch: Gedichte! Mit
diesen gereimten Versen über Beobachtungen des Alltags und in
Reflexion eigener Träume, Wünsche, Ängste, Sorgen und Hoffnungen
spricht sie manches aus, das korrespondiert mit denen der
LeserInnen. Leserinnen wie Birgit und ich. Schon lange hatten wir
vor, einmal nach „Schulzenhof“ zu fahren, in den Norden
Brandenburgs, den Landkreis Oberhavel, die Gemeinde Stechlin, um dort
das Grab der 2021 verstorbenen Dichterin zu besuchen, die am 8.
Februar 1930 geboren wurde. Von Senftenberg im Lausitzer Seenland bis
zum Naturpark Stechlin-Ruppiner Land sind es ca. 3 Stunden Autofahrt
– eine aufwändige Tour, um einen Blumenstrauß abzulegen. Zum
Glück gibt es Blumenlieferservices. Auch in der Nähe von
„Schulzenhof“, z.B. in Rheinsberg. Dort kam man unserer
ungewöhnlichen Bitte, am 8. Februar einen Frühlingsblumenstrauß an
Eva Strittmatters Grab zu liefern gern nach. Aber vielleicht ist
dieser Auftrag gar nicht so absonderlich... In einem Gedicht, das
viele Jahre gerahmt in der Wohnung meiner Großmutter hing, heißt
es: „Und viel mehr Blumen während des Lebens / Denn auf den
Gräbern sind sie vergebens“ und ich stimme diesem Reim
vorbehaltlos zu, nur ist kein Mensch unsterblich und bei so manchem,
dessen Leben und Werk ich bewundere, komme ich wirklich ein paar
Jahr(zehnt)e zu spät, um persönlich einen Strauß in die Hände zu
legen. An die Poeme, Gemälde, Skulpturen, Kompositionen …
einmaliger KünstlerInnen zu erinnern, ist wichtig. Ihre Werke wieder
und wieder ins Bewusstsein der Menschen zu rufen, ist mir ein
Bedürfnis und ist auch Teil meiner eigenen künstlerischen Arbeit.
Nicht zuletzt speist sich daraus auch diese Rubrik „Inspirieren
lassen“.
Yana Arlt
Eva Strittmatter
BILANZ
Wir
alle haben viel verloren.
Täusche dich nicht: auch ich und
du.
Weltoffen wurden wir geboren.
Jetzt halten wir die Türen
zu
Vor dem und jenem. Zwischen Schränken
Voll Kunststoffzeug
und Staubkaffee
Lügen wir, um uns nicht zu kränken.
Und
draußen fällt der erste Schnee …
Wir fragen kalt, die wir
einst kannten:
Was machst denn du, und was macht der?
Und wie
wir in der Jugend brannten …
Jetzt
glühn wir anders. So nie mehr.
aus: „Ich mach ein Lied aus
Stille / Gedichte / Edition Neue Texte“
Aufbau-Verlag 1983
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