Montag, 6. Februar 2023

Inspirieren lassen ~ Eva Strittmatter


Ich erinnere mich an eine verrückte Idee im vergangenen Jahr. Zwei Frauen, die die Gedichte der Lyrikerin Eva Strittmatter lesen und immer wieder lesen und manchen Vers auswendig können. Die Achtung vor der Frau, die in erster Linie wohl Mutter von vier Söhnen, Hausfrau, Ehefrau des gefeierten Schriftstellers Erwin Strittmatter und später dessen literarische Nachlassverwalterin war. Zumindest in der Wahrnehmung vieler. Die junge Frau studierte Germanistik in Berlin und arbeitete als Lektorin, Redakteurin … und zum großen Erstaunen schrieb sie. Keine Romane wie ihr zweiter Ehemann Erwin, sondern Kritiken, Kinderbücher, Kurzprosa und Briefe. Und dann auch: Gedichte! Mit diesen gereimten Versen über Beobachtungen des Alltags und in Reflexion eigener Träume, Wünsche, Ängste, Sorgen und Hoffnungen spricht sie manches aus, das korrespondiert mit denen der LeserInnen. Leserinnen wie Birgit und ich. Schon lange hatten wir vor, einmal nach „Schulzenhof“ zu fahren, in den Norden Brandenburgs, den Landkreis Oberhavel, die Gemeinde Stechlin, um dort das Grab der 2021 verstorbenen Dichterin zu besuchen, die am 8. Februar 1930 geboren wurde. Von Senftenberg im Lausitzer Seenland bis zum Naturpark Stechlin-Ruppiner Land sind es ca. 3 Stunden Autofahrt – eine aufwändige Tour, um einen Blumenstrauß abzulegen. Zum Glück gibt es Blumenlieferservices. Auch in der Nähe von „Schulzenhof“, z.B. in Rheinsberg. Dort kam man unserer ungewöhnlichen Bitte, am 8. Februar einen Frühlingsblumenstrauß an Eva Strittmatters Grab zu liefern gern nach. Aber vielleicht ist dieser Auftrag gar nicht so absonderlich... In einem Gedicht, das viele Jahre gerahmt in der Wohnung meiner Großmutter hing, heißt es: „Und viel mehr Blumen während des Lebens / Denn auf den Gräbern sind sie vergebens“ und ich stimme diesem Reim vorbehaltlos zu, nur ist kein Mensch unsterblich und bei so manchem, dessen Leben und Werk ich bewundere, komme ich wirklich ein paar Jahr(zehnt)e zu spät, um persönlich einen Strauß in die Hände zu legen. An die Poeme, Gemälde, Skulpturen, Kompositionen … einmaliger KünstlerInnen zu erinnern, ist wichtig. Ihre Werke wieder und wieder ins Bewusstsein der Menschen zu rufen, ist mir ein Bedürfnis und ist auch Teil meiner eigenen künstlerischen Arbeit. Nicht zuletzt speist sich daraus auch diese Rubrik „Inspirieren lassen“.

Yana Arlt



Eva Strittmatter

BILANZ

Wir alle haben viel verloren.
Täusche dich nicht: auch ich und du.
Weltoffen wurden wir geboren.
Jetzt halten wir die Türen zu
Vor dem und jenem. Zwischen Schränken
Voll Kunststoffzeug und Staubkaffee
Lügen wir, um uns nicht zu kränken.
Und draußen fällt der erste Schnee …
Wir fragen kalt, die wir einst kannten:
Was machst denn du, und was macht der?
Und wie wir in der Jugend brannten …
Jetzt glühn wir anders. So nie mehr.


aus: „Ich mach ein Lied aus Stille / Gedichte / Edition Neue Texte“
Aufbau-Verlag 1983



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