Es soll Menschen geben, deren großer Traum ist es, einmal einen
Ferrari zu fahren oder zu besitzen; andere wollen einmal mit dem
Oldtimer um die ganze Welt fahren; andere wollen einmal in der
Mailänder Scala auf den Brettern stehen, die die Welt bedeuten …
ich bin da ein bisschen bescheidener. Mein Traum war es, einmal die
originale Himmelsscheibe von Nebra zu sehen. Freilich, mit den
Fingerspitzen darüber zu gleiten, wäre phänomenal! Doch sie zu
sehen, ist auch schonmal ein ordentliches Vorhaben. Nun könnte
mancher meinen: ja, steig halt ins Auto, in den Zug und fahr nach
Halle, das „Landesmuseum für Vorgeschichte“ hat Dienstag bis
Freitag von 9 bis 17 Uhr und an Sams-, Sonn- und Feiertagen von 10
bis 18 Uhr geöffnet, für 7 Euro (12 Euro ab 15. Dezember 2022)
bekommst du eine Menge geboten, nicht nur die Himmelsscheibe.
Du
hast Recht, würde ich antworten. Und dächte insgeheim: du
Vollpfosten!
Gerade in der Vorweihnachtszeit wird es uns wieder
bewusst, wie wunderbar Vorfreude ist! Man kann Sehnsucht und Begehren
auch zelebrieren. Und wer kennt sie nicht, die Aufregung vor dem
ersten Date oder die freudige Ungeduld vor einem Wiedersehen...
In
„Vorfreude“ bin ich gut! Wenn es das als Unterrichtsfach in der
Schule gegeben hätte, hätte ich immer eine 1 bekommen! Vielleicht
hat sich aber erst in den vergangenen Jahren meine Begeisterung für
die kribbelnde Gespanntheit entwickelt. Gerade in einem Umfeld, da
Zeitgenossen sich das begehrte Objekt sofort bestellen, kaufen,
organisieren. Heute bestellt – morgen schon da! Das ist ein Slogan,
der für volle Auftragsbücher sorgt. Und wenn es mal nicht so
schnell geht? Wenn Wesen oder Dinge nicht sofort verfügbar sind? Die
Weltliteratur und die Filmkunst wartet mit vielen Geschichten auf,
die vom Aufhalten, vom Verzögern, vom Behindern und Blockieren
erzählen. Erst muss der Prinz drei Aufgaben lösen, dann bekommt er
die Prinzessin und das halbe Königreich. Aschenbrödel (derzeit wieder auf allen
Fernsehkanälen zu sehen) wirft sich dem Prinzen nicht sofort an den
Hals, sie stellt ihm Rätsel, deren Lösung eine Veränderung seiner
Wahrnehmung bedingen. Das Sehnen nach etwas oder jemand steigert den
Wert des Begehrten. Natürlich ist das nicht beliebig dehnbar.
Also
ich kaufte mir das Buch „Die Himmelsscheibe von Nebra/
Der Schlüssel zu einer untergegangenen Kultur im Herzen Europas/
Harald Meller und Kai Michel“ einige Zeit später den Katalog zur
Ausstellung „Die Welt der Himmelsscheibe von Nebra - Neue
Horizonte. Archäologie & Naturwissenschaft: Forschungsergebnisse
zur Bronzezeit.“ - die Reise zur Himmelsscheibe verzögerte sich,
mal aus finanziellen Gründen, mal aus Zeitgründen und voriges Jahr
war es tatsächlich auch mal das Wetter, mal aus dem Grund, dass sich
das Objekt gar nicht in Halle befand sondern von Februar bis Juli
2022 ist London ausgestellt war.
Am vergangenen Samstag war
ich in Halle/ Saale … im Landesmuseum für Vorgeschichte …
Rainer
Maria Rilke
ÜBER DIE GEDULD
Man
muss den Dingen
die
eigene, stille
ungestörte
Entwicklung lassen,
die
tief von innen kommt
und
durch nichts gedrängt
oder
beschleunigt werden kann,
alles
ist austragen – und
dann
gebären…
Reifen wie der Baum,
der
seine Säfte nicht drängt
und
getrost in den Stürmen des Frühlings steht,
ohne
Angst,
dass
dahinter kein Sommer
kommen
könnte.
Er kommt doch!
Aber
er kommt nur zu den Geduldigen,
die
da sind, als ob die Ewigkeit
vor
ihnen läge,
so
sorglos, still und weit…
Man muss Geduld haben
Mit
dem Ungelösten im Herzen,
und
versuchen, die Fragen selber lieb zu haben,
wie
verschlossene Stuben,
und
wie Bücher, die in einer sehr fremden Sprache
geschrieben
sind.
Es handelt sich darum, alles zu leben.
Wenn
man die Fragen lebt,
lebt
man vielleicht allmählich,
ohne
es zu merken,
eines
fremden Tages
in
die Antworten hinein.