Neben „Das Schloß“ von Franz Kafka
habe ich in diesem Jahr auch ein weiteres Buch endlich fertig
gelesen, „Der Krieg mit den Molchen“ vom tschechischen
Schriftsteller Karel Čapek.
Es ist eines der Lieblingsbücher von Wolfgang Wache, das er in
jungen Jahren mit Begeisterung las. Ich las sogar die mir von ihm
überlassene Ausgabe vom Aufbau-Verlag Berlin, die 1956 herausgegeben
wurde, die Übersetzung vom Tschechischen ins Deutsche erarbeitete
Julius Mader.
Von Beginn an war ich gefangen in den surrealen
Ereignissen, die doch fast erschreckende Parallelen zum heutigen
Weltgeschehen aufweisen. So las ich das Kapitel 7 „Das Erdbeben von
Lousiana“ gerade in der Zeit, als Lecks an den Ostsee-Gaspipelines
Nord Stream 1 und 2 festgestellt wurden. Im Buch heißt es: „An
diesem Tag – es war der 11. November um ein Uhr morgens – wurde
in New Orleans ein heftiger Erdstoß verspürt; einige Häuser […]
stürzten ein; die Menschen liefen vor Schreck auf die Straßen
hinaus, doch das Erdbeben wiederholte sich nicht mehr; nur ein
tosender, kurzer Zyklon kam in furchtbarem Ansturm angebraust […]
Während Brownells Voraussagen einer geologischen Katastrophe durch
die Rotationsmaschinen liefen, erhielt der Gouverneur des Staates
Louisiana von Fort Jackson ein Telegramm folgenden
Wortlauts:
bedauern verluste an menschenleben stop trachteten
euren städten auszuweichen doch rechneten wir nicht mit dem abprall
und anprall des meerwassers bei der explosion stop haben
dreihundertsechsundvierzig menschenopfer auf der ganzen küste
festgestellt stop unser beileid stop chief salamander stop hallo
hallo hier fred dalton poststation fort jackson soeben sind drei
molche von hier weggegangen kamen vor zehn minuten auf die post ein
telegramm aufgeben zielten mit pistolen auf mich sind schon wieder
fort die hässlichen luder zahlten und liefen ins wasser nur der hund
des apothekers hat sie gejagt sollten sich nicht in der stadt frei
bewegen dürfen sonst nichts grüsst minni lacost ich schicke ihr
einen kuss telegrafist fred dalton […]“ Kapitel 8 „Der Chief
Salamander stellt Bedingungen“: „Hallo, ihr Menschen! In
Louisiana. In Kiangsu. In Senegambia. Wir bedauern die Menschenleben.
Wir wollen euch keine überflüssigen Verluste verursachen. Wollen
nur, daß ihr die Meeresküsten an den Stellen räumt, die wir euch
im vorhinein angegeben […] Bisher haben wir nur technische Versuche
vorgenommen. Eure Sprengstoffe haben sich bewährt. Wir danken euch.
[..] Wir brauchen nur mehr Wasser, mehr Küsten, mehr Untiefen für
uns. Es sind unser zu viele. […] Am Nachmittag darauf wurden
südwestlich von Mizen Head die Schiffe Winnipeg,
Manitoba,
Ontario
und Quebec
versenkt. Eine Welle des Entsetzens ging durch die Welt. […]“
Kapitel 9 „Die Konferenz in Vaduz“: „Das war ein sonderbarer
Krieg, wenn man es überhaupt Krieg nennen konnte; denn es gab weder
einen Molchstaat noch eine anerkannte Molchregierung, der man
offiziell die Feindschaft hätte erklären können. […] Daraufhin
brachte England den Antrag ein, wonach sich alle Staaten verpflichten
sollten, den Molchen keinerlei Waffen und Sprengstoffe mehr zu
liefern. Der Antrag wurde nach reiflicher Überlegung abgelehnt...“
Das Buch bietet ein Kaleidoskop an scharfsinnigen Beobachtungen
menschlichen Denkens und Verhaltens. Karel Čapeks
„Der Krieg mit den Molchen“ entstand 1936 und liest sich, als
wäre er 2016 erschienen. Die Aktualität erklärt sich
möglicherweise auch dadurch, dass sich Menschen in ihrer
emotionalen, geistigen, mentalen Grundstruktur nicht ändern.
Profitgier, Machthunger und Ruhmsucht sind anno 2022 ebenso
allgegenwärtig wie sie es zu Beginn des letzten Jahrhunderts oder
noch früher waren. Glücklicherweise gibt es aber auch immer
Menschen, die sich für Respekt, Frieden, Harmonie etc. einsetzen.
Vielleicht gibt es aber auch gar nicht Das Gute und Das Böse, können
wir es besser einordnen, einfacher damit umgehen, wenn wir die
Beweggründe erfahren und verstehen? Unter welchen Umständen sind
wir kompromissbereit und wem oder was gegenüber bleiben wir eisern?
Die Spannung wurde für mich als Leser zum Ende des Buches hin
fast unerträglich, wie löst der Autor den Konflikt, wie entwickelt
sich das Verhältnis zwischen Menschen und Molchen, wohin führt der Autor uns und seine Romanfiguren? Seite um Seite lese ich, blättere
ich, versuche zwischen den Lesezeiten einen Handlungsverlauf zu
konstruieren, der wenn auch kein Happy End wenigstens in Zuversicht
entlässt. Unbedingt empfehlenswert ist hierzu das Kapitel 11 „Der
Verfasser spricht mit sich selbst“ zu lesen. Unbedingt
empfehlenswert!
„Diese
Partie verspielte ich. Mir fiel plötzlich ein, daß jeder Zug auf
dem Schachbrett alt und bereits von irgendwem gespielt worden ist.
Vielleicht ist auch unsere Geschichte schon gespielt worden, und wir
ziehen unsere Figuren mit den gleichen Zügen, den gleichen
Niederlagen entgegen wie einst.“
Karel
Čapek
„Der Krieg mit den Molchen“
Kapitel 2 „Auf den Stufen der
Zivilisation“
Der
besondere Tipp:
Radio-Lesung: Der Krieg mit den Molchen mit Ilja
Richter und Götz Schulte, Regie: Fabian Kühlein, MDR KULTUR 2022
vom 12.12. bis 23.12.2022 in der „Lesezeit“
und in der Mediathek
Yana Arlt