Montag, 19. August 2024

Inspirieren lassen ~ Partigiano

Sie singen mit.
Die Konzertbesucher stimmen in den Gesang des italienischen Liedermachers mit ein, als er als Zugabe das Partisanenlied „Bella Ciao“ anstimmt. Er meint, dass es wichtig ist, dieses Lied zu singen, singen zu können, singen zu dürfen. Früher am Abend meint er auch, dass jeder Musiker/ jede Musikerin ein Lied gegen den Krieg, ein Lied für den Frieden in seinem/ ihrem Konzertprogramm haben sollte. Er sagt noch einiges an diesem Abend im Amphitheater ohne Blick auf den Senftenberger See.
Ich erinnere mich an das Lied, wir sangen es im Musikunterricht in der Schule. Sangen es, mehr oder weniger der Bedeutung, des Inhalts bewusst. Immer wieder berührten mich die Worte. Die Worte eines jungen Menschen, der vom Kämpfen singt, vom Sterben, von unscheinbaren und vergänglichen Mahnmalen für ihren Tod – die kleine Blume. Ja, ich sah die Verse immer von einer Frau gesungen. Erfuhren wir es im Unterricht oder war es meine eigene Fantasie, dass ich mir Partisanentrupps nie nur als reine Männergruppe vorstellte. Irgendwie hatten Partisanen, der Widerstand, die Resistance stets auch weibliche Gesichtszüge. Vielleicht geprägt durch Geschichten von Sophie Scholl, Rosa Luxemburg, Käthe Kollwitz... Namen, die mich seit meiner Jugend begleiten. Frauen sitzen nicht nur wartend, sich ängstlich zermürbend zu hause, bis der Mann, der Sohn, der Vater, der Bruder... nach hause kommen oder die Nachricht von deren Verwundung oder gar Tod eintrifft. Frauen kämpfen auf ihre Weise für das Leben, für den Frieden, für ihr Glück. Nicht jedem passen solche Frauen ins Bild und in ihren eigenen Plan und was nicht passt, wird passend gemacht, wie man es so manches mal formuliert. Üble Nachrede ist da vielleicht noch die glimpflichste Form. Beschimpfungen, Angriffe, Beleidigungen, Ignoranz ~ verbale, psychische, körperliche Gewalt gilt als probates Mittel, um eine selbständige Frau wieder „auf Kurs“ zu bringen, eine selbstbewusste Frau auf „ihren Platz" zu verweisen*. Bella Ciao, bella ciao, bella ciao, ciao, ciao. klingt es von den Zuschauerbänken. Wie viele kennen das Lied, wie viele wissen um die Bedeutung. Mir bleiben die Worte im Hals stecken, ich fühle ich mich nicht zugehörig, nicht authorisiert, diese Verse zu singen. Dieser Abend ist eine Blase und wie eine Seifenblase schimmert die Bühne in rot, blau, grün~ Die Scheinwerfer senden Lichtblitze ins Publikum. Wir sind geblendet. „Noch einen Rosé, bitte“, höre ich den Mann neben mir am Getränkeausschank sagen. Wir lassen uns einlullen von der Sprache, die nur ein Teil der Hörer versteht, vom Rosé und von den Worten des Künstlers, der so gefällig spricht und singt. Einen Tag vorher trat er in Innsbruck auf, am folgenden Tag im Schloss Neuhardenberg und anschließend in Berlin... Es sind vorbereitete Moderationen, zurecht gelegte Sätze, ausformulierte Äußerungen. Ich denke an Sophie, Rosa und Käthe, an Johanna von Orleans alias Jeanne d'Arc... Ich weiß, dass ich damals als 14 Jährige, 16 Jährige eine sehr naive Vorstellung von Widerstand hatte, von der „Verbesserung der Welt“, vom Leben und Kämpfen als Partisanin. Vielleicht Schwärmereien einer Teenagerin, die nichts zu verlieren hat, die sich für unzerstörbar hält, unangreifbar – bis das „Gift“ der Erwartungen und der Erziehung in mich eindrang, die Konfrontation mit Rollenbildern, Prognosen, Projektionen. Ich fuhr an diesem Abend traurig nach hause und befragte mich nächtens, was diese Erfahrung nun für mich bedeutet. In den kommenden Tagen schaute ich mir die Ausstellung in der Evang. Peter-Paul-Kirche in Senftenberg an – und entdecke dort das Foto einer Partisanin~

Yana Arlt

* Lest bitte die neue Literaturausschreibung des Autorenkollektivs Frei!Geist / am 20.8.2024 auf dem NLZ-Blog


 

Eines Morgens in aller Frühe
Bella Ciao, bella ciao, bella ciao, ciao, ciao
Eines Morgens in aller Frühe
trafen wir auf unseren Feind.

Partisanen, kommt nehmt mich mit euch,
Bella Ciao, bella ciao, bella ciao, ciao, ciao
Partisanen, kommt nehmt mich mit euch,
denn ich fühl' der Tod ist nah.

Wenn ich sterbe, o ihr Genossen,
Bella Ciao, bella ciao, bella ciao, ciao, ciao
bringt als tapferen Partisanen
mich sodann zu letzten Ruh'.

In den Schatten der kleinen Blume,
Bella Ciao, bella ciao, bella ciao, ciao, ciao
einer kleinen, ganz zarten Blume,
in die Berge bringt mich dann.

Und die Leute, die gehn vorüber,
Bella Ciao, bella ciao, bella ciao, ciao, ciao
Und die Leute, die gehn vorüber,
sehn die kleine Blume stehn.

Diese Blume, so sagen alle,
Bella Ciao, bella ciao, bella ciao, ciao, ciao
ist die Blume des Partisanen,
der für unsere Freiheit starb.



(Verfasser des italienischen Originals: unbekannt
(um 1906 in Terre d'Acqua), Übersetzung: Horst Berner)

Textquelle: fomori