Sie singen mit.
Die Konzertbesucher
stimmen in den Gesang des italienischen Liedermachers mit ein, als er
als Zugabe das Partisanenlied „Bella Ciao“ anstimmt. Er meint,
dass es wichtig ist, dieses Lied zu singen, singen zu können, singen
zu dürfen. Früher am Abend meint er auch, dass jeder Musiker/ jede
Musikerin ein Lied gegen den Krieg, ein Lied für den Frieden in
seinem/ ihrem Konzertprogramm haben sollte. Er sagt noch einiges an
diesem Abend im Amphitheater ohne Blick auf den Senftenberger
See.
Ich erinnere mich an das Lied, wir sangen es im
Musikunterricht in der Schule. Sangen es, mehr oder weniger der
Bedeutung, des Inhalts bewusst. Immer wieder berührten mich die
Worte. Die Worte eines jungen Menschen, der vom Kämpfen singt, vom
Sterben, von unscheinbaren und vergänglichen Mahnmalen für ihren
Tod – die kleine Blume. Ja, ich sah die Verse immer von einer Frau
gesungen. Erfuhren wir es im Unterricht oder war es meine eigene
Fantasie, dass ich mir Partisanentrupps nie nur als reine
Männergruppe vorstellte. Irgendwie hatten Partisanen, der
Widerstand, die Resistance stets auch weibliche Gesichtszüge.
Vielleicht geprägt durch Geschichten von Sophie Scholl, Rosa
Luxemburg, Käthe Kollwitz... Namen, die mich seit meiner Jugend
begleiten. Frauen sitzen nicht nur wartend, sich ängstlich
zermürbend zu hause, bis der Mann, der Sohn, der Vater, der
Bruder... nach hause kommen oder die Nachricht von deren Verwundung
oder gar Tod eintrifft. Frauen kämpfen auf ihre Weise für das
Leben, für den Frieden, für ihr Glück. Nicht jedem passen solche
Frauen ins Bild und in ihren eigenen Plan und was nicht passt,
wird passend gemacht, wie man es so manches mal formuliert. Üble
Nachrede ist da vielleicht noch die glimpflichste Form.
Beschimpfungen, Angriffe, Beleidigungen, Ignoranz ~ verbale,
psychische, körperliche Gewalt gilt als probates Mittel, um eine
selbständige Frau wieder „auf Kurs“ zu bringen, eine
selbstbewusste Frau auf „ihren Platz" zu verweisen*. Bella Ciao,
bella ciao, bella ciao, ciao, ciao. klingt es von den
Zuschauerbänken. Wie viele kennen das Lied, wie viele wissen um die
Bedeutung. Mir bleiben die Worte im Hals stecken, ich fühle ich mich
nicht zugehörig, nicht authorisiert, diese Verse zu singen. Dieser
Abend ist eine Blase und wie eine Seifenblase schimmert die Bühne in
rot, blau, grün~ Die Scheinwerfer senden Lichtblitze ins Publikum.
Wir sind geblendet. „Noch einen Rosé,
bitte“, höre ich den Mann neben mir am Getränkeausschank sagen.
Wir lassen uns einlullen von der Sprache, die nur ein Teil der Hörer
versteht, vom Rosé und
von den Worten des Künstlers, der so gefällig spricht und singt.
Einen Tag vorher trat er in Innsbruck auf, am folgenden Tag im
Schloss Neuhardenberg und anschließend in Berlin... Es sind
vorbereitete Moderationen, zurecht gelegte Sätze, ausformulierte
Äußerungen. Ich denke an Sophie, Rosa und Käthe, an Johanna von
Orleans alias Jeanne d'Arc... Ich weiß, dass ich damals als 14
Jährige, 16 Jährige eine sehr naive Vorstellung von Widerstand
hatte, von der „Verbesserung der Welt“, vom Leben und Kämpfen
als Partisanin. Vielleicht Schwärmereien einer Teenagerin, die
nichts zu verlieren hat, die sich für unzerstörbar hält,
unangreifbar – bis das „Gift“ der Erwartungen und der Erziehung
in mich eindrang, die Konfrontation mit Rollenbildern, Prognosen,
Projektionen. Ich fuhr an diesem Abend traurig nach hause und
befragte mich nächtens, was diese Erfahrung nun für mich bedeutet.
In den kommenden Tagen schaute ich mir die Ausstellung in der Evang.
Peter-Paul-Kirche in Senftenberg an – und entdecke dort das Foto
einer Partisanin~
Yana Arlt
* Lest bitte die neue Literaturausschreibung des Autorenkollektivs Frei!Geist / am 20.8.2024 auf dem NLZ-Blog
Eines Morgens in
aller Frühe
Bella Ciao, bella ciao, bella ciao, ciao, ciao
Eines
Morgens in aller Frühe
trafen wir auf unseren Feind.
Partisanen,
kommt nehmt mich mit euch,
Bella Ciao, bella ciao, bella ciao,
ciao, ciao
Partisanen, kommt nehmt mich mit euch,
denn ich
fühl' der Tod ist nah.
Wenn ich sterbe, o ihr Genossen,
Bella
Ciao, bella ciao, bella ciao, ciao, ciao
bringt als tapferen
Partisanen
mich sodann zu letzten Ruh'.
In den Schatten der
kleinen Blume,
Bella Ciao, bella ciao, bella ciao, ciao,
ciao
einer kleinen, ganz zarten Blume,
in die Berge bringt mich
dann.
Und die Leute, die gehn vorüber,
Bella Ciao, bella
ciao, bella ciao, ciao, ciao
Und die Leute, die gehn vorüber,
sehn
die kleine Blume stehn.
Diese Blume, so sagen alle,
Bella
Ciao, bella ciao, bella ciao, ciao, ciao
ist die Blume des
Partisanen,
der für unsere Freiheit starb.
(Verfasser
des italienischen Originals: unbekannt
(um 1906 in Terre
d'Acqua), Übersetzung: Horst Berner)
Textquelle: fomori