Montag, 23. Januar 2023

Inspirieren lassen ~ Vernissagebesuch


Was erwarte ich, wenn ich zu einer Ausstellungseröffnung gehe? KUNST! In erster Linie gute oder zumindest interessante Kunst. Ob Gemälde, Skulpturen/ Plastiken oder Installationen, Performances etc., hauptsache ich entdecke etwas Neues, einen ungewohnten Blick auf die Welt.
Was erwarten andere Vernissagegäste? Es scheint mir, es geht bei all dem Hallo! Schön dich zu sehen! Wie geht es dir. den Umarmungen, Bussis und Weingläserklingen eher um das Sehen und Gesehenwerden. Mein Eindruck ist, dass die Besucher die Ladatio eher über sich ergehen lassen, als dass sie den Worten über KünstlerIn und Werk aufmerksam folgen. Nun, es ist ja oftmals ein Aushang zu sehen, auf dem man den Werdegang des Kunstschaffenden nachlesen kann, möglicherweise gibt es einen Katalog, der ebenfalls Lebensstationen aufzeichnet und Abbildungen der Werke enthält. Viele KünstlerInnen sind im Internet präsent, über den/die ein oder andere/n kann man sich in Büchern schlau machen. Wozu also eine Ausstellungseröffnung besuchen? Haben doch diejenigen „Recht“, die nur zweitrangig wegen der Kunst hingehen aber in erster Linie wegen der Begegnung mit anderen? Vielleicht auch wegen dem Glas Wein mit guten Bekannten? Vielleicht auch wegen der musikalischen Beilage, die hier und dort eine Vernissage bereichert? Und steht dort hinten nicht ein Bufett mit delikaten kleinen Häppchen? Ich fühle mich nicht wohl, in dieser großen Inszenierung eine Statistenrolle zu bedienen. Die plaudernden, lachenden Menschen stehen zu zweit oder in kleinen Grüppchen vor den Bildern, Skulpturen, Bildschirmen... Nichts an diesem Abend berührt oder inspiriert mich. Am angenehmsten ist mir das Lächeln der Frau am Einlass. Eine andere Dame zieht sich, schimpfend auf ihren abwesenden Mann, die Jacke an und möchte nun endlich nach hause gehen. Warum sollte das eine von uns anwesenden Frauen interessieren? Ich schaue zur Frau hinter dem Empfangstresen, ziehe die Augenbrauen hoch, sie nickt – was für eine herrliche Kommunikation ohne ein Wort. Vielleicht komme ich in den Wochen bis zum 12. März noch einmal ins Museum und schaue mir die Bilder in aller Ruhe an und versuche in ein oder zwei Stunden meinem Widerwillen ihnen gegenüber auf die Spur zu kommen. In jeder Kunstausstellung versuche ich wenigstens 1 Werk zu entdecken, dem ich zugetan bin. Im Fall von Paul Böckelmann könnte es „Köpfe / Ego 5“ sein. Aber eigentlich wäre es dieses Bild wegen dem klaren Blauton der Ölfarbe auf Leinwand.

Gerade als ich diese Zeilen geschrieben hatte, fiel mir die Weihnachtspost von Bernd Lunghard ein, zu einem selbstgezeichneten Bild gab es dieses Gedicht, das wunderbar zu meiner Analyse passt:

 

Bernd Lunghard

Eine Vernissage

Vernissage im Kultursaal des Kraftwerkes SPREE,
außer den Bildern ein Riesenbüfett.
Erst Reden, Laudatio, dazwischen Gesang,
untermalt von zwei Bratschen. - 'ne Stunde lang.

Endlich geht’s zu den Bilcern, nein, erst zum Büfett,
ein Sektchen, ein Teller mit Steaks und Püree.
Manch Gemälde ist dann bloß in Teilen zu sehn,
weil dicht davor kauende Menschen stehn.

Ölbilder, gespachtelt, den Augen ein Fest,
eine blühende Landschaft mich staunen lässt.
Leider schiebt sich gerade ein Pärchen davor,
und leider dringt dieses Gespräch an mein Ohr:

„Und das, Schatz, ist sicher ein Aquarell, gell?“ -
„Nicht doch, mein Häschen, das ist ein Pastell!“
Still steht der Maler hinten im Raum,
ein hagerer Mann, man bemerkt ihn kaum.

Grau sind seine Haare, grau ist sein Hemd,
er möchte verschwinden, er fühlt sich fremd
in dieser Umgebung, bei dieser Bagage,
doch muss er bleiben, ist ja seine Vernissage.



aus: „Plötzlich Frühling – Gedichte und Sprachspielereien“
ISBN 978-3-86929-511-4

 

Fenster in der Festung Schloss Senftenberg
zum Schlosshof hin, in dem die Laudatio
vorgetragen wurde.


„Die Werke des in Altenau beheimateten Künstlers bestechen mit einer typischen, spontanen und flüssigen Linienführung, und sind von eindrucksvoller Farbigkeit. Paul Böckelmann zeigt Wesen, deren Innerstes ans Licht gezerrt wurde und schafft Räume, die zum Ort der Artikulation und Kommunikation werden. Es ist eine Auseinandersetzung des Künstlers mit sich selbst, mit den eigenen sich wandelnden Stimmungen und der eigenen Vergänglichkeit.“


Textquelle: museumsentdecker