Dienstag, 3. Januar 2023

10. Türchen ins neue Jahr / 3. Januar


 Zeichnung: Lydia Arlt Kirste

 

Hannah Werth


Liebe, als ob die Zeit unendlich sei

Wir haben gestern gesprochen
stundenlang in der Nacht
seit langem zum ersten Mal hat das
wieder ein Feuer der Liebe entfacht.

Weißt Du noch, wie wir uns trafen?
Fröhlich und Frei!
Wir haben getanzt bis in die Nacht,
als ob unsere Zeit unendlich sei.

Weißt Du noch?
Stundenlange Spaziergänge im Wald
wir sangen und hörten,
wie die Stimme durch die Bäume schallt.
Endlose Zeit zum Reden:
alles wollten wir besprechen
Quantenenergie, der Sinn im Leben.

Dann trat der Fleiß in unsere Mitte
hatte manche strebsame Bitte.
Wir reisten zusammen,
haben in Laboren in Chicago, Bern und Rehovot abgehangen.
studierten und doktorierten.
gemeinsam wir beide spürten
als die erste Dunkelheit einbog,
weil vor lauter Lernen und Kämpfen,
das Leben an unseren Fenstern vorbeizog.
Wie gern hätte ich damals mehr getanzt,
mit Dir fröhlich und frei,
am Ufer des Lake Michigan,
als ob Zeit unendlich sei!

Ein Schwur einte uns bis in den Tod.
Kinder hat uns die Liebe gegeben
Steuerten gemeinsam ein wachsendes Boot,
und glaubten, es könnte uns nichts die Liebe nehmen.

Wir waren zusammen ein klasse Team,
solange wir an Bord desselben Schiffes standen,
doch schwieriger wurde es,
als wir uns auf rivalisierenden Seiten fanden,
als Arbeit, Haushalt und Kinder,
Hobbies, Freunde, Zeit füreinander
Konkurrenz ums kostbarste Gut erzeugten
und wir am eigenen Leibe spürten,
das der Tag mit seinen 24 Stunden
zieht alles andere als unendliche Runden.

Und so kam der Alltag,
Der Arbeits-Familien-Spagat,
die Last der Verantwortung,
und scheinbar ohne Vorwarnung
perfektionistische Kleinlichkeit,
Hinfort war alle Leichtigkeit,
Stattdessen narzistische Vergleicherei.
Was ist hier Henne, was ist Ei?

Doch, gestern haben wir gesprochen!
Stundenlang, seit langem das erste Mal von Ängsten frei!
Gesprochen bis tief in die Nacht,
als ob Zeit unendlich sei.

Haben die richtigen Worte gewählt
um einander näher zu bringen, was uns quält.
wie sehr jeder von uns leidet
dass es uns jeweils am meisten Sorgen bereitet,
wie unsere eigene Unzulänglichkeit
den anderen hemmt und wie man IHN befreit.

Wir haben gesprochen,
wie Sorgen auf Arbeit,
Zeit rauben,
die wir eigentlich füreinander brauchen.

Haben gesprochen
wie unsere Kinder
- das Kostbarste für beide von uns -
uns oft an der Zweisamkeit hindern

Wir haben ein bisschen auch gelacht
wie wir, trotz dass wir uns zwanzig Jahre kennen
wieder denselben Fehler gemacht:

Statt Sorgen konkret und liebevoll zu benennen
haben wir uns vergraben und versucht unbedacht,
vor den Konflikten wegzurennen.

Und wir haben gestern Nacht
auch die Gewissheit wiedergefunden,
dass unsere Seelen zueinander gehören,
wie wir es ganz unumwunden,
schon vor zwanzig Jahren spürten.
Damals, als wir tanzten
fröhlich und frei
als ob Zeit unendlich sei.

Und so will ich
und bete ich,
dass wir auch in den nächsten zwanzig Jahren
OFT bis in die tiefe Nacht sprechen
und an Zeit füreinander nicht sparen,
dass wir trotz aller unserer Zicken,
nicht geizen mit innigen Blicken,
dass wir gemeinsam Sterne anschauen,
mit den Enkeln Sandburgen bauen,
dass wir noch tanzend flanieren,
weil wir den Ernst der Welt zwar spüren,
aber uns dennoch für die Leichtigkeit entscheiden
und lieber tanzen als darunter zu leiden.

Und ich hoffe, dass wir unseren Kindern werden vorgelebt haben,
wie sie sich selbst vertrauen
und vertrauen auf ihre Gaben,
wie sie Konflikte lösen, statt zu ignorieren,
wie sie Wunden wahrhaftig auskurieren.

Wir haben gesprochen letzte Nacht,
was mich nicht nur glücklich macht,
sondern auch wieder optimistisch stimmt,
dass das Lodern der Liebe nicht verglimmt,
dass nur mangelnde Dialogfähigkeit
das Feuer hüllte in ein dichtes Nebelkleid,
das Schritt für Schritt,
mit Geduld und Geschick,
mit Achtsamkeit und Zeit
sich lichtet und wandelt in ein luftiges, leicht brennbares Kleid.

Drum Liebster,
reich mir Deine Hand!
Tanz mit mir
jetzt und hier
Wie frei wir miteinander sind,
die Zeit nochmal neu für uns beginnt,
fröhlich und frei,
als ob sie unendlich sei.

 

 

Edith Arlt