Zeichnung: Lydia Arlt Kirste
Hannah Werth
Liebe,
als ob die Zeit unendlich sei
Wir
haben gestern gesprochen
stundenlang
in der Nacht
seit langem zum ersten Mal hat das
wieder ein
Feuer der Liebe entfacht.
Weißt Du noch, wie wir uns
trafen?
Fröhlich
und Frei!
Wir
haben getanzt bis in die Nacht,
als
ob unsere Zeit unendlich sei.
Weißt
Du noch?
Stundenlange Spaziergänge im Wald
wir sangen und
hörten,
wie die Stimme durch die Bäume schallt.
Endlose Zeit
zum Reden:
alles wollten wir besprechen
Quantenenergie, der
Sinn im Leben.
Dann trat der Fleiß in unsere Mitte
hatte
manche strebsame Bitte.
Wir reisten zusammen,
haben in Laboren
in Chicago, Bern und Rehovot abgehangen.
studierten und
doktorierten.
gemeinsam wir beide spürten
als die erste
Dunkelheit einbog,
weil vor lauter Lernen und Kämpfen,
das
Leben an unseren Fenstern vorbeizog.
Wie gern hätte ich damals
mehr getanzt,
mit Dir fröhlich und frei,
am Ufer des Lake
Michigan,
als ob Zeit unendlich sei!
Ein Schwur einte uns
bis in den Tod.
Kinder hat uns die Liebe gegeben
Steuerten
gemeinsam ein wachsendes Boot,
und glaubten, es könnte uns nichts
die Liebe nehmen.
Wir waren zusammen ein klasse Team,
solange
wir an Bord desselben Schiffes standen,
doch schwieriger wurde
es,
als wir uns auf rivalisierenden Seiten fanden,
als Arbeit,
Haushalt und Kinder,
Hobbies, Freunde, Zeit füreinander
Konkurrenz
ums kostbarste Gut erzeugten
und wir am eigenen Leibe spürten,
das
der Tag mit seinen 24 Stunden
zieht alles andere als unendliche
Runden.
Und so kam der Alltag,
Der
Arbeits-Familien-Spagat,
die Last der Verantwortung,
und
scheinbar ohne Vorwarnung
perfektionistische
Kleinlichkeit,
Hinfort war alle Leichtigkeit,
Stattdessen
narzistische Vergleicherei.
Was ist hier Henne, was ist Ei?
Doch,
gestern haben wir gesprochen!
Stundenlang,
seit langem das erste Mal von Ängsten frei!
Gesprochen bis tief
in die Nacht,
als
ob Zeit unendlich sei.
Haben
die richtigen Worte gewählt
um einander näher zu bringen, was
uns quält.
wie sehr jeder von uns leidet
dass es uns jeweils
am meisten Sorgen bereitet,
wie unsere eigene Unzulänglichkeit
den
anderen hemmt und wie man IHN befreit.
Wir
haben gesprochen,
wie
Sorgen auf Arbeit,
Zeit rauben,
die wir eigentlich füreinander
brauchen.
Haben gesprochen
wie unsere Kinder
- das
Kostbarste für beide von uns -
uns oft an der Zweisamkeit
hindern
Wir haben ein bisschen auch gelacht
wie wir, trotz
dass wir uns zwanzig Jahre kennen
wieder denselben Fehler
gemacht:
Statt Sorgen konkret und liebevoll zu benennen
haben
wir uns vergraben und versucht unbedacht,
vor den Konflikten
wegzurennen.
Und wir haben gestern Nacht
auch die
Gewissheit wiedergefunden,
dass unsere Seelen zueinander
gehören,
wie wir es ganz unumwunden,
schon vor zwanzig Jahren
spürten.
Damals, als wir tanzten
fröhlich und frei
als
ob Zeit unendlich sei.
Und
so will ich
und bete ich,
dass wir auch in den nächsten
zwanzig Jahren
OFT
bis in die tiefe Nacht sprechen
und
an Zeit füreinander nicht sparen,
dass wir trotz aller unserer
Zicken,
nicht geizen mit innigen Blicken,
dass wir gemeinsam
Sterne anschauen,
mit den Enkeln Sandburgen bauen,
dass wir
noch tanzend flanieren,
weil wir den Ernst der Welt zwar
spüren,
aber uns dennoch für die Leichtigkeit entscheiden
und
lieber tanzen als darunter zu leiden.
Und ich hoffe, dass wir
unseren Kindern werden vorgelebt haben,
wie sie sich selbst
vertrauen
und vertrauen auf ihre Gaben,
wie sie Konflikte
lösen, statt zu ignorieren,
wie sie Wunden wahrhaftig
auskurieren.
Wir
haben gesprochen letzte Nacht,
was
mich nicht nur glücklich macht,
sondern auch wieder optimistisch
stimmt,
dass das Lodern der Liebe nicht verglimmt,
dass nur
mangelnde Dialogfähigkeit
das Feuer hüllte in ein dichtes
Nebelkleid,
das Schritt für Schritt,
mit Geduld und
Geschick,
mit Achtsamkeit und Zeit
sich lichtet und wandelt in
ein luftiges, leicht brennbares Kleid.
Drum Liebster,
reich
mir Deine Hand!
Tanz mit mir
jetzt und hier
Wie frei wir
miteinander sind,
die Zeit nochmal neu für uns beginnt,
fröhlich
und frei,
als
ob sie unendlich sei.
Edith Arlt