Montag, 14. November 2022

Inspirieren lassen

Was für ein Künstler! Ähm, Künstlerin!? Oder Künstlergruppe?!
Aber genau das ist es ja für mich nicht – dieses Rätseln, dieses Vermuten, dieses Spekulieren … Ach, es ist doch nicht entscheidend, wer diese Bilder kreiert, es ist entscheidend, was sie mit mir machen, was sie in mir auslösen.
Macht es einen Unterschied, wenn ich einen Roman von Ellis Bell lese oder von Emily Brontë? Lese ich ein Gedicht von Georg Philipp Friedrich von Hardenberg mit anderen Sinnen als eines von Novalis? Oh, ein neuer Emil Marriot – so könnte eine Frau nie schreiben! Was, ein Text von Emilie Mattaja? Wer ist das? Die Typografie von Pietro de Saga verliert doch nichts an Aussagekraft, wenn sie mit dem wirklichen Namen Stefanie Kiesler unterzeichnet ist.
Wie ist das nun also mit diesem/ dieser/ diesen Banksy?
Ich hatte für einige Wochen „Mädchen mit blauem Vogel“ als Ausdruck in Postkartengröße in meinem Schreibbuch liegen. Immer wenn ich morgens beim Kaffee oder abends zum täglichen Notat das Buch öffnete, hielt ich ein paar Augenblicke inne und versank in den Anblick des Mädchens, das versunken ist in den Anblick des kleinen blauen Vogels. Ich denke an Charles Bukowskis Gedicht „Bluebird“, das mit rauchiger Stimme von Tom O'Bedlam eingelesen, sich in Kopf und Herz einnistet – ganz so wie es im Poem heißt: „There's a bluebird in my heart, that wants to get out[...]“
Die Kunst von Banksy vermag solche Empfindungen auszulösen – bei mir. Das Mädchen mit dem Ballon ist nicht nur ein Mädchen mit einem roten Ballon und wer kennt nicht das legendäre Foto eines Bades, in dem sich fast ein Dutzend Ratten tummeln – auf dem Toilettendeckel, auf dem Waschbeckenrand, balancierend auf einer Toilettenpapierrolle... Würde es an meiner Sympathie für die Streetart, für die Schablonenkunst, für Banksy-Kunst etwas ändern, wenn ich um die Identität wüsste? 

Wenke Richter*
Was ich auf jeden Fall sagen kann ist, dass mich Kunst verleitet, Gegebenheiten, Alltäglichkeiten zu hinterfragen, mich zu hinterfragen in meinem Verständnis des Motivs, der Umsetzung, der Verwendung einer künstlerischen Technik. Als wir am 8. November unsere Performace „Literarisches [künstlerisches] Schaffen in Senftenberg“ aufführten, war die Kohlezeichnung der „Alten Dame“ für die Lesung aus Werken verstorbener Autoren bewusst gewählt, bei den zeitgenössischen Texten verwendete Wenke Farbe in Form von Pastellkreide und Marker.
Nehmt euch wieder einmal die Zeit, eine Ausstellung, eine Lesung, ein Konzert zu besuchen, geht mit offenen Augen durch eure Stadt – es ist vielleicht keine Banksy, den ihr an der Hausfassade entdeckt aber ganz sicher gibt es „Künstlerspuren“ auch in deinem Lebensort.


* 8. November 2022 im Bürgerhaus "Wendische Kirche"
"Die alte Dame" (li) gemalt mit Pastellkreide / (re.o.) mit Kaffee gemalt / (re.u.) als Schablone mit Marker


 

Yana Arlt / 25. Oktober 2022 / inspiriert von Banksy „Girl with blue bird“

Ich habe dich gesucht
sagt sie zu ihm
durch 5 Kontinente bin ich gelaufen
über 5 Meere bin ich gefahren
auf der Suche nach dir

Viele Menschen
erzählten mir von ihrer Begegnung
mit dir
ich hatte sie nicht gefragt
sie gaben mir Ratschläge
wo wann wie ich dich finden kann
ich hatte sie nicht gefragt

Manche Menschen
hörten zum ersten Mal
von dir
sie beschlossen sich meiner Suche
anzuschließen
ich hatte sie nicht gefragt

Einige Menschen
hatten fast einmal eine Begegnung
mit dir
sie erzählten wie wichtig du
für sie bist
dass wenn sie dich sehen und hören endlich
Glück Freude Liebe Wohlstand und Gesundheit
in ihr Leben kommen würde
ich hatte sie nicht gefragt

Nebel wallte durch die Straßen
Der Dunst zerstreute das Morgenlicht
Auf dem Gehweg
häufte sich Hausrat
In einem mannshohen Spiegel
sah ich dich

In dem Spiegel
Dort sitzt der blaue Vogel
hüpft flattert singt
lautlos
Ich setze mich vor den Spiegel
mit überkreuzten Beinen
stütze den rechten Ellenbogen auf
lege mein Kinn
auf die Handfläche
und schaue dich an
Mein Spiegelbild sitzt
mit überkreuzten Beinen
mit aufgestütztem Kopf
und schaut dich an

Du hebst den Kopf
öffnest den Schnabel
ich höre lautes gleichmäßiges Piepen
~ und sehe durch den Nebel
die Rücklichter des Sperrmüllautos
näher kommen

[...]