Montag, 15. Mai 2023

Inspirieren lassen ~ Arbeit? Leben?

So vieles inspiriert mich derzeit zu eigenen Versen, zum Kunst machen und doch ist ein großes Problem: Wann soll ich die Ideen ausführen? Wann habe ich genug Zeit, um mich in ein Thema zu vertiefen, eigene Gedanken und (Wort)Bilder wie die Keimlinge und Schößlinge auf meinen Gemüsebeeten zu pflegen. Auch die Samen der Inspiration müssen gegossen werden, die unerwünschten „Beikräuter“ müssen entfernt werden, damit die schöpferische Kraft ganz in die zarten Spitzen und Wurzeln eindringen kann.
So ist es derzeit auch mit Begegnungen – ich möchte Zeit haben für die Menschen, für die Gespräche und auch das gemeinsame Schweigen, z.B. mit einem Becher Kaffee unter einem blühenden Kirschbaum zu sitzen und zu schauen, in welchen Becher zuerst ein Blütenblatt fällt und sich dann etwas zu wünschen. Ich möchte Zeit haben. Der helle Teil des Tages ist derzeit länger als der dunkle, da müsste ich doch Zeit haben, um neben der LandArt auch noch den Garten zu gestalten und auch noch mit wunderbaren Menschen am Feuer zu sitzen, in der eisernen Pfanne brutzeln Kartoffel- und Pastinakenscheiben, die mit einem Griff nach hinten gleich ein paar Bärlauchblättchen zur Würze beigemengt bekommen. Work-Life-Balance. Das Wort habe ich nie verstanden. Ist nun das mühsame Ziehen der Labyrinthlinien in den Kirchenvorplatz und das Auffüllen mit Sand, den ich Schippchen für Schippchen erst eingeladen und dann wieder ausgebracht habe Arbeit oder Leben. Ist die Beantwortung der E-Mail eines Künstlers, der zu den Tagen des offenen Buches kommt und noch letzte Fragen hat Arbeit oder Leben? Ist das Kaffeekochen für Gäste des Tages des offenen Ateliers Arbeit und der Genuss des Morgenkaffees auf der Gartenbank Leben? Ist die Erstellung und der Druck meines Kalenders 2024 Leben und die Erstellung und der Druck eines Veranstaltungsplakats Arbeit?
Wie hat es wohl Mina Witkojc gehalten, die niedersorbische Dichterin, deren 130ten Geburtstag wir am 28. Mai begehen, war auch Dienstmädchen, Tagelöhnerin, Angestellte in einem Gärtnereibetrieb, Mitarbeiterin der Domowina*, Zeitungsredakteurin ~ Wie genau ihr Tag gestaltet war, weiß ich nicht aber sie empfand eine tiefe Verbundenheit mit der Natur, die sich in ihren Versen wiederspiegelt. Diese war also ganz sicher als Blumenbinderin Teil ihrer Arbeit aber als Lyrikerin Teil ihres Lebens.
Oder ist das Schreiben von Versen Arbeit? So bezeichnete es zumindest Wolfgang Wache einmal in einem seiner Gedichte.

Yana Arlt


Mina Witkojc

In der Nacht vor dem ersten Mai
~ Übersetzung von Kito Lorenc „Mina Witkojc, Eine sorbische Dichterin“ Rat der Stadt Cottbus 1976
[…]
Laßt Freude uns schenkend empfangen
zeit dieses Lebens nur,
und nach uns geh, wo wir gegangen,
eine maigrüne Blütenspur.


Do maja (1925)
[…]
A wjaso
łosć rozdawaś tuder
my comy w cas
žywjeńskich lĕt:
Daś za nami ceri se wšuder
jan zeleny, kwiśecy slĕd.





* „Die Domowina ist ein politisch unabhängiger und selbstständiger Bund der Sorben/Wenden (im Weiteren Sorben) und Dachverband sorbischer Vereine der Ober- und Niederlausitz.“ (Textquelle: https://www.domowina.de/start)