Montag, 5. Februar 2024

Inspirieren lassen ~ so langsam wie möglich


„Der Ton macht die Musik“, war einer der Sätze, die ich als Kind und besonders als Jugendliche von meinem Vater zu hören bekam. Es war eigentlich zweitrangig, was ich da postulierte, wichtiger war die Art und Weise, wie ich meine Ansichten und Gegenargumente vorbrachte.
„Ein Guten Tag zur Begrüßung gehört einfach zum guten Ton.“
„Er traf mit seiner Aussage den richtigen Ton.“
„Mein Herr, Sie vergreifen sich im Ton!“
„Dann werden wir eben einen ganz anderen Ton anschlagen müssen.“
„Mir gefällt Ihr Ton nicht!“
„Ich werde keinen Ton darüber verlauten lassen.“
„Diesen Ton verbitte ich mir!“
„Du wirst nicht einen Ton dazu von mir hören.“
Wie wichtig Klang und Rhythmus für unsere Kommunikation sind, erkennt man bei diesen wenigen Beispielen. Wie oft ist dir schon einmal etwas in die falsche Kehle gerutscht? Oder kam dir missverständlich über die Lippen? Vielleicht sagtest du etwas, das aber vom Gegenüber aufgrund deiner Stimmmelodie in Kombination mit Geste und Gesichtsausdruck vollkommen anders aufgenommen wurde. Plötzlich steht da ein großes Schweigen, eine Betroffenheit, eine Unsicherheit im Raum, die Temperatur scheint um 10°C gesunken zu sein, im Hals kratzt eine Empörung oder drückt eine Enttäuschung.
Nach dem Duden hat das Wort „Ton“ mehrere verschiedene Bedeutungen:
> vom Gehör wahrgenommene gleichmäßige Schwingung der Luft, die (im Unterschied zum Klang) keine Obertöne aufweist
> (aus einer Reihe harmonischer Töne 1a zusammengesetzter) Klang (1)
> Tonaufnahme
Gebrauch Rundfunk, Film, Fernsehen
> Rede-, Sprech-, Schreibweise, Tonfall (2)
> Wort; Äußerung
Gebrauch umgangssprachlich
> Betonung (1), Akzent (1a)
> (in der Lyrik des Mittelalters und im Meistersang) sich gegenseitig bedingende Strophenform und Melodie; Einheit von rhythmisch-metrischer Gestalt und Melodie
Gebrauch Literaturwissenschaft
> Herkunft wohl nach französisch ton < lateinisch tonus
Kurzform für Farbton (1, 2)
>> besonders zur Herstellung von Töpferwaren verwendetes lockeres, feinkörniges Sediment von gelblicher bis grauer Farbe

Ich mag die Formulierung „irdenes Geschirr“ oder auch „tönerne Schüsseln“. Vielleicht verwenden gar nicht mehr viele Menschen diese Worte, möglicherweise nur noch Poeten. Und wenn ich einen Lyriker lesen höre oder selbst meine Verse leise vor mich hin spreche, dann merke ich schnell, ob das Gedicht stimmig ist. Auch bei einer Lesung spielt der Ton eine enorme Rolle, um einen Text zu verstehen, Zugang zum Dichter/ zur Dichterin und ihren Gedanken- und Bilderwelten zu bekommen.
Der eine, lange Ton, z.B. einer Klangschale, kann uns erden, kann uns zur Ruhe bringen. Tonfolgen können uns irritieren oder uns wütend machen.
Wenn ich diese 7 Noten/ Orgeltöne angebe: c‘ (16‘), des‘(16‘), d‘, dis‘, e‘, ais‘, e‘‘
wer weiß dann damit etwas anzufangen. Wer hat diese Töne schon gehört? Genau diese Kombination – als langanhaltenden Klang. Zu hören bis zum 5. August 2026 … in Halberstadt. (https://www.aslsp.org/das-projekt.html)

Yana Arlt


Die Töne
Karoline von Günderode

Ihr tiefen Seelen, die im Stoff gefangen,
Nach Lebensodem, nach Befreiung ringt;
Wer löset eure Bande dem Verlangen,
Das gern melodisch aus der Stummheit dringt?
Wer Töne öffnet eurer Kerker Riegel?
Und wer entfesselt eure Ätherflügel?

Einst, da Gewalt den Widerstand berühret,
Zersprang der Töne alte Kerkernacht;
Im weiten Raume hier und da verirret
Entflohen sie, der Stummheit nun erwacht,
Und sie durchwandelten den blauen Bogen
Und jauchzten in den Sturm der wilden Wogen.

Sie schlüpften flüsternd durch der Bäume Wipfel
Und hauchten aus der Nachtigallen Brust,
Mit mutigen Strömen stürzten sie vom Gipfel
Der Felsen sich in wilder Freiheitslust.
Sie rauschten an der Menschen Ohr vorüber,
Er zog sie in sein innerstes hinüber.

Und da er unterm Herzen sie getragen,
Heisst er sie wandlen auf der Lüfte Pfad
Und allen den verwandten Seelen sagen,
Wie liebend sie sein Geist gepfleget hat.
Harmonisch schweben sie aus ihrer Wiege
Und wandlen fort und tragen Menschenzüge.