Montag, 12. September 2022

Jana Weinert - Impression 10. Lausitzer Lyrikfestival / auf facebook



 

Jana Weinert

Dichter dran - eine Nachlese

Kein Gedanke daran, Fotos zu machen. Von keinem der drei Tage auch nur ein einziges Bild. Dafür Eindrücke und Filme im Hirnskasten, in Herzkammern. Gesprächsmomente. Textfragmente. Gesichter dazu, Vortragsstimmen und Gesten. Landschaft. Ortschaft. Garten mit Seidenhühnern und Hund. Garten mit Tischen und Menschen im Sonnenlicht. Lesende und Zuhörende unter dem schattenspendenden Sternzelt auf dem Platz des Friedens. Spätsommerwind bringt den Duft reifer Äpfel aus den Gärten und zupft verspielt an den Manuskriptseiten. Was sitzt ihr hier im Schatten, will er sagen, kommt in die Gärten. Das allerdings ist für den Sonntag geplant, wo ich schon nicht mehr in Marga dabei bin. – Die nächtliche Brücke über die Elster mit Blick tief hinein in die Milchstraße. Der Liebste und ich, jeder den Kopf in den Nacken gelegt, trinken diesen Ausblick in die Unendlichkeit. Oder ist das Universum gar nicht unendlich? Atmet es und spuckt uns irgendwann aus? Und wenn ja, wohin? ... Jetzt mische ich schon Orte und Ereignisse. Darum kurz:

Freitag reisten wir, aufgehalten nur vom Stau um Potsdam, nach Plessa, wo wir unser Zimmer in der Elstermühle bezogen. Die Mühle wurde von Ingrid Kaech und ihrem Mann zum Schriftstellerhaus um und ausgebaut. Wir fühlten uns sofort willkommen. Freundliche Begrüßung, behagliche Räume und ein Garten, in dem Seidenhühner und Kaninchen leben und ein bäriger Hütehund freudig auf uns zugetapst kam.

Wir fuhren sofort weiter nach Brieske Marga, um noch etwas vom Auftakt des Lyrikfestivals mitzuerleben. Von nun an wurde die Zeit so reich und intensiv, dass ich gar nicht auf den Gedanken kam, ein Handy zwischen mich und die Welt zu halten. Die Ereignisse waren im Fluss. Wie soll man einen Fluss festhalten. Den Strom poetischer Bilder, den Gesprächsfluss , den Tanz der Begegnungen für auch nur eine Sekunde anhalten, um für den Knipps den richtigen Ausschnitt zu wählen. So vergaß ich das Fotografieren komplett. Andere waren da multi-tasking-fähiger. Wir alle waren dicht dran an der Dichtung, den Dichterinnen und Dichtern. Und besonders schön: ich durfte dank Ingo Cesaros mobiler Setzerei endlich wieder die kühlen bleigegossenen Lettern einer vier Cicero großen Plakatschrift in Händen halten.

Als ich vor jetzt genau 40 Jahren meine Schriftsetzerlehre begann, unsicher und fast noch ein Kind, ahnte ich nicht, dass dieses Handwerk mich so nachhaltig froh machen würde, wie es das heut tut. Heutzutage zieht es mich in jede der selten gewordenen Bleisetzereien und ich muss meine Hände nach den Lettern ausstrecken, Zeilen bauen, anordnen zu einem Format, das in sich dicht und im wahrsten Sinne schlüssig ist. Vielleicht ist das noch etwas, das ich noch einmal aufnehmen möchte. Eine kleine eigene Setzerei und Druckerei. Zum Spielen und Experimentieren - und meditativen Schriftsetzen. Das eigentlich Schriftstellen ist. In Marga staunte ich, dass es inzwischen Setzmaterial aus Kunststoff gibt, das genauso exakt für den Bau eines Schriftsatzes herhält, wie die Bleigussblindmaterialen. Wir durften in Marga Haikus setzen und erfuhren in diesen Tagen auch etwas über die Philosophie des Haikus.

Auf zwei Bühnen wurde gelesen. Aufrüttelnde, politische Texte, melancholische und bitter-süße Liebeslieder ans Leben, magische, humorige, spitzfindige, trickreiche Stücke.

Wollten wir nicht auch darüber sprechen, was Lyrik heute ist? Oder bewegten wir uns viel zu sehr in ihr, ließen uns von ihrem Strom tragen, um etwa eine Standortbestimmung vorzunehmen. Das ganze Wochenende war poetisch gewebt. Man geht heraus und sieht die Welt etwas anders an. Klänge es nicht so pathetisch würde ich sagen, mit der Poesie öffnet sich der Blick für das Wesen der Dinge. Und sei es auch noch so winzig. ein jedes bekommt Gewicht, steht bedeutsam inmitten anderer bedeutsamer Teilchen. Auch die Farben werden kräftiger, die Strukturen, auch die tiefen, sichtbarer. Poesie ist keine Droge, verändert aber die Wahrnehmung. Macht glücklich. Zentriert. Zeigt die Schwingungen, Lebensrhythmen, auch die verborgenen, und schafft Raum, viel viel Raum - ist also gut fürs Herze und fürs Atemholen. Medizin.

Am Büchertisch kamen wir miteinander ins Gespräch. Es ging um die Wege ins Schreiben,, auch ganz pragmatisch darum, wie vom und fürs Schreiben zu leben sei. Es ging um die Wahl von Themen und Stoffen, um Lebensmuster. An runden Tischen machten wir einander vertraut, beim gemeinsamen Essen, das übrigens köstlich war.

Die endlich wieder unmittelbare Begegnung mit Kolleginnen und Kollegen und Publikum tat gut.

Am Sonntag trennten sich unsere Wege: die Kolleginnen und Kollegen in Marga lasen erst in den Gärten der Gartenstadt und ließen dann den Tag bei einer gemeinsamen Schiffsreise ausklingen.

Ich und der Liebste blieben in der Elstermühle in Plessa, im Schriftstellerhaus. Hier war „Tag der offenen Tür“. Ursprünglich für Mai geplant hatte es Ausbauverzögerungen gegeben und es fehlten im Frühjahr die für einen "Tag der offenen Tür" entscheidenden Elemente: die Türen. Also wurde es der 4. September. Es gab Führungen durchs Mühlenmuseum und durchs Schrifstellerhaus, Spaziergänge an der Elster hin zu einer alten und besonders schön gewachsenen Eiche. Im großen Garten saßen die Menschen zahlreich und ließen sich Getränke und Imbiss schmecken. Der Kleintierzüchterverein war mit von der Partie und hatte Tiere – kleine also – im Garten platziert, Würstchen auf den Grill gelegt und enorme Kuchen gebacken. Im Gastraum durften wir lesen. Und wie so oft war das Publikum bunt gemischt und sehr interessiert. Das ist, was ich im ländlichen Brandenburg genieße – die Leute kommen und wollen etwas hören. Ich las am Vormittag aus "Nachtbaden" und eine Geschichte über meinen Großvater. Nachmittags las uns Reinhard Stöckel etwas aus seinem Roman "Bärensommer".

Alles das klingt und schwingt noch immer in mir nach. Dank an das Nachwuchs-Literatur-Zentrum in Brieske Marga, an Yana Arlt und Wolfgang Wache, an alle Unterstützerinnen und Unterstützer des Lyrikfestivals. Dank an Ingrid Kaech und ihren Mann, an Anja Manz und alle anderen, die dort dafür sorgten, dass der Tag so ein zauberhafter war. Schön Euch getroffen zu haben, Carmen Winter, Steffen Marciniak, Stefan Reschke, Lena Inosemzewa, Ingo Cesaro, Ursula Henriette Kramm-Konowalow, Johann Seidl, Anja Manz, Ingrid Kaech.

Und wie gesagt.... Fotos zu machen habe ich schlichtweg vergessen.

Textquelle: https://www.facebook.com/jana.weinert.52