Dienstag, 22. September 2015

Suchende Menschen, selten zufrieden -

Susann Vogel über eine Lesung des Lausitzer Autors Wolfgang Wache und die poetischen Eindrücke, denen sie nachwandert …




Er fordert auf: „Trinken Sie etwas!“
Und nimmt selbst einen Schluck aus dem Wasserglas. Ich greife zu meinem roten Wein und proste ihm aus der dritten Reihe zu.

Wolfgang Wache, der Lausiter Kulturmacher, Wortwerkler, ein ernsthafter Clown und – ein Lichtfänger, ein Lichtwerfer auf das Andere, die anderen Möglichkeiten.

Das Licht an diesem Nachmittag fällt in die Elsterniederung, eine Erzählung in Versen über die regionale Vergangenheit; demnächst geplant als Kunstbuch-Veröffentlichung. Es berichtet die Figur des Herberts, dessen Erinnerungsaufmarsch ich lausche: eine Welt des Moors und des Sumpfes; von Lehm und Leben von dem, das vorhanden, verfügbar, ist – in der Elsterniederung. Eine Welt der suchenden Menschen, von Schwertlilien umgeben und selten zufrieden. Eine Welt der nackten Füße, der Wassermänner und Feuchtwiesen, durchdrungen von Stoßgebeten, von den Kraftanstrengungen der Machtlosen, von Nachbars Neid, an dem sich ein Strohdach entzündet.
Herbert ist überzeugt: Wo Tauben gurren, sind Greifvögel nicht weit. Und ich laufe mit ihm in Hausschuhen weiter, weiter, weiter durch einen Wald am Bombentrichter entlang, beinahe stolpere ich – mir winkt die Mittagsfrau, als entartet gebrandmarkt. Und es empfangen uns, Herbert und mich, Menschen, die sich an brennenden Kirschbäumen […] wärm[en] bis niemand mehr w[eiß], wie Kirschen schmecken.

Wie weit sind wir gegangen?
Wie weit sind wir gewandert?
Wir haben uns gar nicht bewegt.

Augenblicke verbinden
Augenblicke
jeden Augenblick
mit dem
neuen Augenblick

Wir stehen in der Elsterniederung, am selben Ort, an dem anderes, anderes, anderes geschieht.

Hier klettere ich mit Herbert auf 100 Jahre alte Bäume und Herbert möchte, dass ich erkenne, dass ein jedes Dasein […] ein Kunstwerk [ist]. Wir, ich und Herbert mit den Holzpantinen.

Darauf stehe ich in Wolfgang Waches Waschkaue. Wir unterhalten uns mit den alten Gemäuern. Der Wind geht. Die Sonne kommt. Dann das Nichts, ein kleines Nichts, eine Blume zwischen den Granitpflastersteinen. Ein Nichts, das gedenkt, dem Etwas, den Menschen, die über diese Steine liefen.

Ich muss Inne halten, warten, atmen – ein Rausch – dort eine feste Stimme: Wird schon werden. … weil es immer schon geworden ist. Wolfgang Wache baut eine leere Wohnung, erzählt von einem Schneider, der sie verlassen musste – ihn haben sie heute abgeholt […] Sein Husten war sehr schlimm. Seine Augen waren rot. Gekommen sind Spinnweben. Geblieben ein Zettel mit der Bitte der Ehefrau an Irgendjemanden, die Blumen zu gießen. Man wird doch wieder nach Hause zurück …? Nicht wahr? Höre ich den Schneider denken. Den Menschen, der die Fähigkeit des Menschen zum Wahnsinn nicht recht glauben mochte.

Die Wohnung ist leer.

Wolfgang Waches Verse begegnen mir niemals bevormundend, direkt wohl, aber immer ver-dicht-et. Sie kippen, die Verse, im Moment des Schlags ins Gesicht. In mein Gesicht. Sie meinen stets ebenso mich. Mich und alle anderen, zu jeder Zeit.

Wände
die mich umgeben
können ein Raum sein
stemme mich gegen die
Begrenzung
um sie zu beseitigen

Mit Wolfgang Wache bin ich auf der Suche – wonach? Nach eine[r] Melodie leise ganz leise. Und dem Text, Text, Text dazu. Wir summe[n] und singe[n] la, la, lalala - wenn er kommt, der Text, pfeifen wir auf ihn.


Susann Vogel



kursiv Gedrucktes = Originalzitate aus den vorgetragenen Texten