Susann Vogel über eine Lesung des
Lausitzer Autors Wolfgang Wache und die poetischen Eindrücke, denen
sie nachwandert …
Er fordert auf: „Trinken Sie etwas!“
Und nimmt selbst einen Schluck aus dem
Wasserglas. Ich greife zu meinem roten Wein und proste ihm aus der
dritten Reihe zu.
Wolfgang Wache, der Lausiter
Kulturmacher, Wortwerkler, ein ernsthafter Clown und – ein
Lichtfänger, ein Lichtwerfer auf das Andere, die anderen
Möglichkeiten.
Das Licht an diesem Nachmittag fällt
in die Elsterniederung, eine Erzählung in Versen über die
regionale Vergangenheit; demnächst geplant als
Kunstbuch-Veröffentlichung. Es berichtet die Figur des Herberts,
dessen Erinnerungsaufmarsch ich lausche: eine Welt des Moors und des
Sumpfes; von Lehm und Leben von dem, das vorhanden, verfügbar, ist –
in der Elsterniederung. Eine Welt der suchenden Menschen, von
Schwertlilien umgeben und selten zufrieden. Eine Welt der nackten
Füße, der Wassermänner und Feuchtwiesen, durchdrungen von
Stoßgebeten, von den Kraftanstrengungen der Machtlosen, von Nachbars
Neid, an dem sich ein Strohdach entzündet.
Herbert ist überzeugt: Wo Tauben
gurren, sind Greifvögel nicht weit. Und ich laufe mit ihm in
Hausschuhen weiter, weiter, weiter durch einen Wald am Bombentrichter
entlang, beinahe stolpere ich – mir winkt die Mittagsfrau, als
entartet gebrandmarkt. Und es empfangen uns, Herbert und mich,
Menschen, die sich an brennenden Kirschbäumen […] wärm[en] bis
niemand mehr w[eiß], wie Kirschen schmecken.
Wie weit sind wir gegangen?
Wie weit sind wir gewandert?
Wir haben uns gar nicht bewegt.
Augenblicke verbinden
Augenblicke
jeden Augenblick
mit dem
neuen Augenblick
Wir stehen in der Elsterniederung, am
selben Ort, an dem anderes, anderes, anderes geschieht.
Hier klettere ich mit Herbert auf 100
Jahre alte Bäume und Herbert möchte, dass ich erkenne, dass ein
jedes Dasein […] ein Kunstwerk [ist]. Wir, ich und Herbert
mit den Holzpantinen.
Darauf stehe ich in Wolfgang Waches
Waschkaue. Wir unterhalten uns mit den alten Gemäuern.
Der Wind geht. Die Sonne kommt. Dann das Nichts, ein kleines Nichts,
eine Blume zwischen den Granitpflastersteinen. Ein Nichts, das
gedenkt, dem Etwas, den Menschen, die über diese Steine liefen.
Ich muss Inne halten, warten, atmen –
ein Rausch – dort eine feste Stimme: Wird schon werden. …
weil es immer schon geworden ist. Wolfgang Wache baut eine leere
Wohnung, erzählt von einem Schneider, der sie verlassen musste –
ihn haben sie heute abgeholt
[…] Sein Husten war sehr schlimm. Seine Augen waren rot.
Gekommen sind Spinnweben. Geblieben ein Zettel mit der Bitte der
Ehefrau an Irgendjemanden, die Blumen zu gießen. Man wird doch
wieder nach Hause zurück …? Nicht wahr? Höre ich den Schneider
denken. Den Menschen, der die Fähigkeit des Menschen zum Wahnsinn
nicht recht glauben mochte.
Die Wohnung ist leer.
Wolfgang Waches Verse begegnen mir
niemals bevormundend, direkt wohl, aber immer ver-dicht-et. Sie
kippen, die Verse, im Moment des Schlags ins Gesicht. In mein
Gesicht. Sie meinen stets ebenso mich. Mich und alle anderen, zu
jeder Zeit.
Wände
die mich umgeben
können ein Raum sein
stemme mich gegen die
Begrenzung
um sie zu beseitigen
Mit Wolfgang Wache bin ich auf der
Suche – wonach? Nach eine[r] Melodie leise ganz leise. Und
dem Text, Text, Text dazu. Wir summe[n] und singe[n] la, la,
lalala - wenn er kommt, der Text, pfeifen wir auf ihn.
Susann Vogel
kursiv Gedrucktes = Originalzitate aus den vorgetragenen Texten