Liest du Gedichte? In welchen
Situationen liest du Gedichte? Welche Gedichte liest du? Hast du
Präferenzen für lyrische Formen oder für Themen?
„Reime
spielen hier eine wichtige Rolle und damit bekommt Lyrik
eine
Relevanz in der Unterstützung des Lese- und Schreiblernprozesses.
Kinder
erleben
zudem mit Gedichten, dass literarische Texte vieldeutig sind und man
unterschiedliche Lesarten entdecken und besprechen kann.“
Textquelle: www.gew.de
Hier geht es zu
einem Beitrag von Bob Blume unter dem Titel „BILDUNG:
Warum Lyrik? 100 Gründe“. Ein Auszug gefällig?
2.
Um zu verstehen, was ein einzelnes Wort bedeuten kann
9. Um die
Musik der Sprache wahrzunehmen
14. Um zu verstehen, dass es oft
mehrere Ebenen gibt als die erste scheinbare
29. Um Worte zu
finden, wenn man keine Worte mehr hat
30. Um ein Repertoire zu
haben, wenn man jemandem mehr sagen will, als man sagen kann
42.
Um sich darüber zu freuen, was mit einem passiert, wenn man
plötzlich versteht
65. Um zu sehen, wie aus Worten Bilder werden
82.
Um zu sehen, was mit Menschen passiert, die nur die Sprache haben
85. Um miteinander ins Gespräch zu kommen
Gut,
dann lasst uns doch jetzt mal zu der Frage ins Gespräch kommen, die
die Süddeutsche Zeitung vor einigen Tagen aufwarf: „Sollte
jeder Mensch mindestens einmal im Leben über einem Gedicht in Tränen
ausgebrochen sein?“
Mir
fallen da gleich mehrere ein, die mich tief anrührten und bei denen
mir die Zähren in Rinnsalen über die Wange plätscherten. Hätte
ich nur eine Stunde später oder im Sessel des NLZ statt an einem
Tisch im Cafe, mit Schneefall vor dem Fenster oder vor dem Öffnen
deines Briefes oder nach dem Telefonat die Verse gelesen …
vielleicht wäre ich distanzierter gewesen, analytischer. Vielleicht
hätte es mich nicht emotional so gepackt, vielleicht hätte ich die
Poesie nicht „so persönlich genommen“.
Gedichte zu lesen, zu
spüren, funktioniert nur, wenn man sie persönlich nimmt. Wenn man
die Worte ganz nah an sich rankommen lässt. Und das von jemandem,
der so seine ganz eigenen Umgang mit Nähe hat. Bei vorgelesenen
Gedichten – z.B. auf der Internetseite „Lyrikline / listen to the
poet“ oder 10:50 Uhr „Das Gedicht“ auf mdr kultur – spielt
für die Verbindung zur vorgetragenen Poesie auch die Stimme des
Lesenden und die Stimmung, in der man sich selbst befindet eine
Rolle. So mancher Lyriker/ manche Lyrikerin musste sich auch den
wohlmeinenden Rat anhören: Lassen Sie doch besser einen Schauspieler
vortragen.
All diese Interpretationen hat man nicht, wenn man die
Gedichte selbst liest, wenn man die abstrakten Schriftzeichen – ob
lateinisch, kyrillisch, arabisch... - durch seine Hirnwindungen
laufen lässt, wo sich Jamben, Trochäen, Reime, Metaphern etc. zu
einem Gemälde oder zu einem Film umwandeln. Nicht zu vergessen, dass
Gedichte auch Olfaktorisches, Haptisches, Akustisches, Visuelles und
Gustatorisches vermitteln können. Ich rieche und schmecke sie
geradezu, wenn mir Herr Ribbeck zuraunt: „Willst de ne Birn?“
(Theodor Fontane) Ich atme auf und spüre die warme Herbstsonne bei
den Versen „Ich mach ein Lied aus Stille und aus Septemberlicht“
(Eva Strittmatter), mir läuft ein Schauer über den Rücken bei den
Reimen „Dunkel folgt mir auf dem Fuß, mauert seine Wand aus Ruß“
(Mina Witkojc) und ich schwelge in „Carl Philipp Emanuel Bach ist
an der Reihe. Er begleitet uns zu Honig auf Toast und schwarzem
Kaffee.“ (Rainer Malkowski)
Einfach dass es sie gibt, die
Dichter und Dichterinnen, die Dichtung, macht mich glücklich. Dass
es immer wieder einige Schreibende gibt, die die Magie der Sprache
erwecken können, die sich einem jahrelangen/ lebenslangen
Lernprozess unterziehen und akzeptieren, dass sie eben jenen Zauber
nie ganz beherrschen, nie ganz ausreizen, nie ganz ergründen können.
Was sind das für besondere Menschen, die Poeten! Was sind ihre
Gedichte für Kostbarkeiten!
Yana Arlt