In einem Gedicht, wie z.B. dem
dreizeiligen Haiku kann man ganze Geschichten, sogar von der Länge
eines Romans erzählen. So gestalteten wir die Einführung in das
Schreiben von Gedichten für die Ferienkinder, die zwischen 8 und 12
Jahre alt waren. Wir lasen einige Beispiele vor, analysierten, welche
Informationen in den wenigen Versen stecken und schrieben dann selbst
Zweizeiler, Haiku und Vierzeiler. Sind Gedichte für Kinder geeignet?
Brauchen Kinder speziell für sie geschriebene Lyrik, um an dieser
literarischen Form Freude zu finden? In den vergangenen Tagen hatten
wir viele Besucher in unserer Ausstellung zur Geschichte der
Gartenstadt Marga. Wenn man mit diesen Interessierten ins Gespräch
kommt, gleitet man häufig auch in die Themen Berufsfeld, Hobbies,
Familiengeschichte, Prägung durch Schule und Studium … Wen es
interessiert, dem erzählen wir auch, dass zum Profil des Vereins
„Ich schreibe!“ neben der Erinnerungskultur auch die Kulturelle
Bildung, die Kunst & Kultur, die Begegnung und der Austausch von
KünstlerInnen und interdisziplinäre Veranstaltungen, wie das
Lausitzer Lyrikfestival gehören. Nicht selten sagt man uns dann:
Nein, Gedichte sind nicht mein Ding.
Ich kann mit
Gedichten nichts anfangen.
Lyrik ist mir zu schwer, ich lese
lieber Romane.
Das Auswendiglernen von Gedichten und
Gedichtanalyse waren für mich in der Schule immer ein Graus.
Lyrik
ist schon sehr speziell, da werden Sie nicht viel Publikum haben.
Man
sagte uns auch, dass Lyrik schwer, wenn nicht gar unmöglich an
Kinder im Kindergarten und in der Grundschule zu vermitteln ist. Wir
taten es trotzdem – mit Lesungen, Werkstätten, Puppenspiel.
Ich
habe es aufgegeben, die Erwachsenen begeistern zu wollen: Sie
müssen nicht jeden Vers, jedes Wort verstehen. Lassen Sie sich auf
den Klang ein. Lassen Sie sich beim Vorlesen oder laut lesen auf die
Schwingung der Worte, auf die Bilder, geformt aus Buchstaben ein.
Nehmen Sie aus einem Gedicht vielleicht nur eine Formulierung heraus
und erfreuen Sie sich daran oder regen Sie sich darüber auf oder
argumentieren Sie dagegen. Lassen Sie die Vibrationen eines Gedichts
durch die Zäune und Mauern ihres Alltags dringen. Lassen Sie sich
berühren... Nein, das alles sage ich nicht mehr zu jemandem, der
mit fester Stimme sagt: Gedichte sind nicht mein Ding.
Überhaupt
gibt es auch vieles, was nicht mein Ding ist. Und es gibt
Gründe dafür, dass ich mich nicht damit befasse oder es nicht in
mein Leben hole oder es ausweise. Ich möchte dann auch nicht, dass
mir jemand zuredet, mich mit Argumenten und Lobreden auf das Thema
überschüttet. Moderne Technik mit all seinen Spielerchen, die
Reisen mit einem Kreuzfahrtschiff, das Halten eines Hundes, die USA
Music-Top 10, die Rangliste der Fußballbundesliga, die neuesten
veganen Angebote „Schmeckt wie...“, das Hafenfest mit Feuerwerk,
die tolle Serie beim Streamingdienst XY... denkt nicht, ich würde es
nicht registrieren, mich nicht dafür interessieren, ich richte nur
nicht meinen Tagesablauf und meine Lebensziele und -träume danach
aus, orientiere nicht meine Tätigkeiten und mein Engagement an
ihnen. Schnell wird etwas, das du anstrebst, jemand, dem du dich
voller Hingabe widmest zum Herren über dich. Bin ich der Sklave der
Poesie? Bin ich der Untertan der Kunst? Bin ich ein Fanatiker für
die Kulturelle Bildung? Wie ich mein Leben ausrichte, mag manchem
seltsam erscheinen. Aber ich habe Gründe, warum ich so lebe. Das
könnt ihr mir glauben!
Yana Arlt
… Daraus
entstanden zwei Ausstellungen, die jetzt zusammengeführt werden.
Beim Aufbau wurde mir täglich bewusst, dass das Poetische ein
politisches Werkzeug ist. In unserer brutalen, plündernden
Zivilisation ist das Poetische ein zartes, ein gutes Instrument des
Widerstands, weil du dich damit auf anderes Terrain begibst.
Claus
Biegert „Der Erde eine Stimme geben“
aus „oya, # 71
Lebenswege“ Dezember 2022 bis März 2023