Montag, 14. August 2023

Inspirieren lassen ~ das Poetische ist ein Instrument des Widerstands

 

In einem Gedicht, wie z.B. dem dreizeiligen Haiku kann man ganze Geschichten, sogar von der Länge eines Romans erzählen. So gestalteten wir die Einführung in das Schreiben von Gedichten für die Ferienkinder, die zwischen 8 und 12 Jahre alt waren. Wir lasen einige Beispiele vor, analysierten, welche Informationen in den wenigen Versen stecken und schrieben dann selbst Zweizeiler, Haiku und Vierzeiler. Sind Gedichte für Kinder geeignet? Brauchen Kinder speziell für sie geschriebene Lyrik, um an dieser literarischen Form Freude zu finden? In den vergangenen Tagen hatten wir viele Besucher in unserer Ausstellung zur Geschichte der Gartenstadt Marga. Wenn man mit diesen Interessierten ins Gespräch kommt, gleitet man häufig auch in die Themen Berufsfeld, Hobbies, Familiengeschichte, Prägung durch Schule und Studium … Wen es interessiert, dem erzählen wir auch, dass zum Profil des Vereins „Ich schreibe!“ neben der Erinnerungskultur auch die Kulturelle Bildung, die Kunst & Kultur, die Begegnung und der Austausch von KünstlerInnen und interdisziplinäre Veranstaltungen, wie das Lausitzer Lyrikfestival gehören. Nicht selten sagt man uns dann:
Nein, Gedichte sind nicht mein Ding.
Ich kann mit Gedichten nichts anfangen.
Lyrik ist mir zu schwer, ich lese lieber Romane.
Das Auswendiglernen von Gedichten und Gedichtanalyse waren für mich in der Schule immer ein Graus.
Lyrik ist schon sehr speziell, da werden Sie nicht viel Publikum haben.

Man sagte uns auch, dass Lyrik schwer, wenn nicht gar unmöglich an Kinder im Kindergarten und in der Grundschule zu vermitteln ist. Wir taten es trotzdem – mit Lesungen, Werkstätten, Puppenspiel.
Ich habe es aufgegeben, die Erwachsenen begeistern zu wollen: Sie müssen nicht jeden Vers, jedes Wort verstehen. Lassen Sie sich auf den Klang ein. Lassen Sie sich beim Vorlesen oder laut lesen auf die Schwingung der Worte, auf die Bilder, geformt aus Buchstaben ein. Nehmen Sie aus einem Gedicht vielleicht nur eine Formulierung heraus und erfreuen Sie sich daran oder regen Sie sich darüber auf oder argumentieren Sie dagegen. Lassen Sie die Vibrationen eines Gedichts durch die Zäune und Mauern ihres Alltags dringen. Lassen Sie sich berühren... Nein, das alles sage ich nicht mehr zu jemandem, der mit fester Stimme sagt: Gedichte sind nicht mein Ding.
Überhaupt gibt es auch vieles, was nicht mein Ding ist. Und es gibt Gründe dafür, dass ich mich nicht damit befasse oder es nicht in mein Leben hole oder es ausweise. Ich möchte dann auch nicht, dass mir jemand zuredet, mich mit Argumenten und Lobreden auf das Thema überschüttet. Moderne Technik mit all seinen Spielerchen, die Reisen mit einem Kreuzfahrtschiff, das Halten eines Hundes, die USA Music-Top 10, die Rangliste der Fußballbundesliga, die neuesten veganen Angebote „Schmeckt wie...“, das Hafenfest mit Feuerwerk, die tolle Serie beim Streamingdienst XY... denkt nicht, ich würde es nicht registrieren, mich nicht dafür interessieren, ich richte nur nicht meinen Tagesablauf und meine Lebensziele und -träume danach aus, orientiere nicht meine Tätigkeiten und mein Engagement an ihnen. Schnell wird etwas, das du anstrebst, jemand, dem du dich voller Hingabe widmest zum Herren über dich. Bin ich der Sklave der Poesie? Bin ich der Untertan der Kunst? Bin ich ein Fanatiker für die Kulturelle Bildung? Wie ich mein Leben ausrichte, mag manchem seltsam erscheinen. Aber ich habe Gründe, warum ich so lebe. Das könnt ihr mir glauben!

Yana Arlt



… Daraus entstanden zwei Ausstellungen, die jetzt zusammengeführt werden. Beim Aufbau wurde mir täglich bewusst, dass das Poetische ein politisches Werkzeug ist. In unserer brutalen, plündernden Zivilisation ist das Poetische ein zartes, ein gutes Instrument des Widerstands, weil du dich damit auf anderes Terrain begibst.

Claus Biegert „Der Erde eine Stimme geben“
aus „oya, # 71 Lebenswege“ Dezember 2022 bis März 2023