Was ist wohl an einem „a“
Besonderes? „a“ ist der erste Buchstabe im Alphabeth. Am
Kammerton „a“ richten sich Melodiebögen aus. Eine Terz darüber und eine Quarte darunter
erklingt das „d“. Die bestimmten Artikel beginnen in der
deutschen Sprache mit „d“ - der, die, das. Die Worte Dank,
Dasein, Dach, Dusche, Decke, Desinteresse, Diele, Demut, Dreck, Ding,
Damals, drüben, durch, denken, dulden, dichten, drängen …
beginnen mit einem „d“. Warum ist „der lange ton zu
senftenberg“ im vergangenen Orgelkonzert am Freitagabend ein „d“?
Als er erklingt, bemerken nicht alle Konzertbesucher, dass die Musik
bereits begonnen hat. Die Gespräche werden weiter geführt, letzte
Besucher betreten die Kirche und nehmen ihren Sitzplatz ein, man
winkt und nickt einander zu. Ich habe die Augen geschlossen. Der
Schweiß rinnt mir an diesem heißen Augusttag über die Stirn, den
Hals, den Rücken herab. Ich versuche die Rinnsale als Berührung zu
empfinden. Normalerweise sind Kirchenräume sehr viel kühler als
andere Räume und der Körper beruhigt sich in der Unbewegtheit des
Sitzens. Ein paar Mal mit dem Programmzettel zu wedeln, bringt
Abkühlung. Dieser extravagante Programmzettel mit den Zeichnungen,
Zitaten, Versen... eine Gesamtgrafik. Die ersten Töne von der
Eule-Orgel gehen fast unter in der allgemeinen Betriebsamkeit. Zarte
Töne. Kaum eine Melodie. Keine bekannte Melodie. Ah, ein Stück von
Mendelsohn-Bartholdy; eine Passage von Max Reger; unverkennbar Johann
Sebastian Bach ~ das alles kann man nicht sagen. Es sind Fingertänze
auf Tasten, ausgespuckt von ein paar der 2.222 Orgelpfeifen. Ein
Spiel, ein Hüpfspiel, aufsteigende Luftblasen beim Tauchen im See.
Das Wasser des Senftenberger Sees hat an verschiedenen
Strandbereichen unterschiedliche Farben. In der frühen Morgenstunde
schwimme ich an und unter der Oberfläche, überlasse mich diesem
Element, die Wirbel, die durch die Arm- und Handbewegungen am Körper
vorbei, unter dem Körper entlang entstehen, sind Berührungen. Das
Eintauchen der Glieder in das Wasser nimmt Luft mit unter die
Oberfläche, die löst sich mit Drängeln als schillernde Bläschen.
Luftperlen. Schweißperlen. Es ist ja auch nur Luft, die durch die
Orgelpfeifen in den Kirchenraum perlt. Verstehe einer, wie sich
jemand so etwas hat einfallen lassen. Metallröhren nebeneinander
gereiht, Tasten, die durch Fingerspitzendruck Luftströme durch diese
und jene Pfeife leiten und diese Luftstöße sind Klänge, die sich
brechen an den Steinen, aus denen das Gebäude besteht. Steine als
Gratzellengewölbe, als Säule, als Fußboden(mosaik). Verstehe
einer, wie sich jemand so etwas hat einfallen lassen. Lehm zu Ziegeln
zu brennen und sie aneinander zu fügen. So klingen sie gemeinsam
Luft Erde Wasser Feuer. Die 5 Minuten, die der Ton „d“
nachklingt, in denen er ganz allein im Raum schwingt, ist fast
magisch. Ja, wir alle hier, die schweigend sitzen und nachlauschen,
wir waren Ohrenzeuge von etwas Einmaligem. Nie wieder wird diese
Melodie erklingen. Sie steht auf keinem Notenblatt, sie ist auf
keinem Tonträger gespeichert. Dieser unbestimmte Klang … er ist
nur noch einmal da, als ich unter die Oberfläche des Sees tauche und
den Luftperlen nachschaue.
PS: Auf dem Heimweg vom Konzert
finde ich 4 vierblättrige Kleeblätter. Der vierte Buchstabe im
Alphabeth ist das „d“. 4 Töne - Quarte. 4 x 4 Blätter sind 16 – mithin 2
Oktaven ~
Nicht mehr und nicht weniger.
Yana Arlt
was heißt u n
e n d l i c h für uns sind 639 jahre bereits unendlich 10
generationen
vor 639 jahren hätte der ton im jahre 1361 begonnen
was ist seit dem alles geschehen
die borchardi-klosterkirche
(basilika) in halberstadt wurde im 12. jh. erbaut und hat diese
lange
zeit bis heute überlebt sie ist der k l a n g r a u m für das
john-cage-kunstprojekt
ww: für mich sinnbild für den langen atem
gottes un-- un-- un-- un-----endlich
Wilfried
Wilke
vom Programmzettel „sinfonische impressionen von und mit
wilfried wilke (ww) über das längste musikstück der welt einer
komposition von john cage (1912-1992) für über 639 jahre dem
längsten orgelton von halberstadt