Es gab Zeiten, da kannten alle
lyrikinteressierten Menschen der DDR und auch Menschen jenseits der
Republikgrenzen den Namen Uwe Greßmann. Der junge Poet erkrankte an
Tbc, es folgten jahrelange Behandlungen in Krankenhäusern und
Heilstätten. Mit 36 Jahren starb Uwe Greßmann, bevor sein zweiter
Lyrikband „Das Sonnenauto“ veröffentlicht wurde.
„Wer
schreibt, der bleibt“, heißt es immer wieder und immer noch. Im
Jahr 2020 erschienen 64.000 neue Titel auf dem Buchmarkt. Lyrik und
Dramatik machten im selben Jahr 1,4% der Gesamtumsätze im Buchhandel
aus. Was treibt jemanden dazu Gedichte zu schreiben? Und kommt man
zwangsläufig mit Erich Arndts „Deutsche Verslehre“ oder
vergleichbaren Regelwerken in Berührung? Definitiv gibt es mehr
Menschen, die Gedichte schreiben, als Menschen, die Lyrikbände
kaufen und Poesie lesen. Wie oft höre ich: „Gedichte sind nicht so
mein Ding.“ Aber wie können sie zu jemandes „Ding“ werden?
Vielleicht indem man nicht fordert, dass man ein Gedicht analysieren
und nach vorgegebenen Regeln interpretieren können muss, wenn man es
liest? Ein Gedicht ist auch kein Kunstwerk auf samtener Unterlage in
einer Vitrine – man denke nur an die Verse von Francois Villon oder
Charles Bukowski.
Ich halte es da eher mit Paul Auster, der in der
Reportage über die Malerin Joan Mitchell sagt:
> Mitchell
sagt, sie versuche die Emotionen einer Verszeile auf die Leinwand zu
übertragen. Ihr Leben lang malt sie Bilder in Anlehnung an Texte
befreundeter Schriftsteller und Dichter: wie Frank O'Hara, Samuel
Beckett und Jacques Dupin.
„Eine Gedichtzeile ist so vieles in
einem – sie ist konkret und metaphorisch zugleich. Sie sendet
Bedeutungswellen aus, weil sie vieldeutig ist. Eine Gedichtzeile ist
nie eindeutig – wenn es gute Lyrik ist. Dieses Schwingen ruft beim
Leser Resonanz hervor, eine Reaktion von Körper und Geist. Ich bin
davon überzeugt, dass wahre Poesie durch den Rhythmus lebt. Und
genau das macht Joan auch in ihren Bildern. In der Kunst geht’s um
Rhythmus und den haben ihre Bilder. Gute Lyrik hat Rhythmus.“ <
Paul Auster in
„Joan Mitchell – Poetin des Abstrakten“
(arte)
Und
wie steht es nun um Uwe Greßmann?
Im kommenden Jahr wäre er 90
Jahre alt geworden – es ist Zeit, wieder einmal einen Gedichtband
von ihm in die Hand zu nehmen...
Uwe Greßmann
geb. 1. Mai 1933
gest.
30. Oktober 1969
Weltseele
Leis o leis
Singe mit
tausend Stimmen
Da du irgendwo zwischen Zähnen und Ästen
wohnst
Ja tief in des Herzens Schneisen selbst
Wandelt ein
Jüngling dahin
Und hält des
Traumes
Schöne
Arme
Umschlungen
Fragt nun die
Erscheinung:
Siehst du am Himmel meine große Seele
Ach die
ferne
Scheint mit Sonnenaugen
Schweigsam so heiter zu
strahlen
O die Stille strömt
Die Grüne meines
Herzens
Tief so tief in Baumes Schlaf
O Mitternacht gib Acht o
Mensch
aus dem Band „Sagenhafte Geschöpfe“ Gedichte, aus
dem Nachlaß herausgegeben von Holger J. Schubert / Mitteldeutscher
Verlag Halle-Leipzig 1983