Adieu September! September, der uns mit 8 Schwendtagen am Stück herausfordert, der uns mit der Tag- und Nachtgleiche in das dunkle Halbjahr einführt, der uns mit dem Michaelistag (29.9.), dem Tag der Erzengel, einen Lichtblick beschehrt. Monat der Ernte und der Wintersaat, der letzten heißen Spätsommertage und ersten Nachtfröste, der letzten bunten Blumen und ersten bunten Blätter. Noch sehe ich Schmetterlinge, lausche dem Plaudern der Reisegruppe „Sturnus vulgaris“, genieße die Wassertemperatur des Sees und die angenehme Windbrise. Noch schaukle ich von der Nachmittagssonne beschienen in der Hängematte, schlürfe einen Tee aus frisch geernteter Erdbeerminze und Salbeiblättern. Noch sitzt es sich wohltuend am Feuer im Garten mit einer gut gefüllten Pfanne, noch laufe ich barfuß von Thymian zu Liebstöckel zu Bohnenkraut für die Würzmischung, noch ~ Doch da ist am Sonntagmorgen plötzlich dieser winzige Moment gewesen, als mich die Farbe des Himmels und die Form der Wolken an den Frühling erinnerte. An den Frühling? Am Nachmittag lese ich ein paar restliche Blätter vom Heckenschnitt vom letztmalig gemähten Rasen und da ist für Augenblicke der Gedanke an Schnee gegenwärtig. Bald – bald sind es nicht nur die Gänseblümchen, das Berufkraut und die letzten Blüten des Phlox', die weiß leuchten, bald wird der erste Raureif das Grün überstreuen und der 110-jährige Kalender sagt für Ende Oktober im Venusjahr, den 30.10., den ersten Schneefall voraus. „Oh Herr, dieser Sommer war sehr groß...“ kommen mir die Verse von Rainer Maria Rilke in den Sinn, eines der bekanntesten und schönsten Herbstgedichte der deutschsprachigen Lyrik... und trotzdem denke ich auch daran, dass es Menschen gibt, die noch nie den Namen Rilke gehört oder eines seiner Gedichte gelesen haben. Am 8. September wird auch der Internationale Tag der Alphabetisierung begangen und am 30. September der Bundesweite Aktionstag der Legasthenie und Dyskalkulie. Am vergangenen Freitag gestand beim „Fest der Kulturen“ die Leseratte Raz, dass sie nicht lesen kann – und hielt ein Blatt hoch, auf der ein Wort in kyrillischen Buchstaben stand und ein Blatt mit einem arabischen Wort – vom Publikum gab es Hilfe. Karl Valentin meinte: „Fremd ist der Fremde nur in der Fremde.“ Ich kenne mich etwas aus in der deutschen Sprache – aber in Japan wäre ich ein Analphabet, ebenso in Indien oder in Griechenland. Selbst wenn wir bei den vertrauten Buchstaben bleiben, was bitte heißt Pokój oder Heddwch? Bei den Texten in den historischen Kirchenbüchern oder auf Postkarten von 1910 in Sütterlinschrift, bräuchte ich auch Hilfe. So betrachtet, bin ich Analphabet in den meisten Ländern der Welt...
Yana Arlt
Anna Ritter
Fremd
geworden
Deinen Hügel
umschreiten die Jahre...
Jedes legt eine Handvoll Staub,
Blühende Rosen und welkes Laub
Mit schweigendem Gruß darauf
nieder.
Die Sehnsucht singt ihre Lieder
Allabendlich im
Rosenbaum,
Die Stürme gehn hin und wieder –
Du aber
schläfst und lächelst im Traum.
– - - - - - - - - - - - - - -
- - - - - - - - -
Du wirst mir so fremd in der langen Zeit!
Wohl
seh' ich dich noch, doch mein Weg führt weit,
Ach, weit an dir
vorüber.
In ewiger Jugend dein Auge scheint,
Meins aber hat
so viel Thränen geweint –
Es sank mir ein Schleier darüber!